Im Herbst 1853 stellte die k. k. Landesbaudirektion im Zuge der projektierten Renovierung der Kanzleien der k. k. Statthalterei in dem unter Erzherzog Ferdinand II. errichteten Südwesttrakt der Grazer Burg die Baufälligkeit dieses Gebäudeteiles fest. In der Folge wurde sein Abbruch beschlossen. Um ein drohendes Nachstürzen der angrenzenden Baukörper, d.h. des Palas aus der Zeit Kaiser Friedrichs III. sowie des Verbindungstraktes zur Domkirche, zu vermeiden, wurden aus sicherheitstechnischen Gründen auch diese Teile in die Abbruchpläne mit einbezogen. Von der bevorstehenden Demolierung ebenfalls betroffen waren ein Teil jenes schmalen Verbindungstraktes, mit dem Trompetergang im Obergeschoß, der unter Erzherzog Karl II. als Abschluss des ersten Burghofes gegen die Hofgasse hin errichtet worden war, sowie die in der Südwestecke des Hofes an den Palas angebaute Prunkstiege von Domenico dell’ Allio aus dem Jahr 1554.
Ein Gutachten der 1850 gegründeten k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale bestätigte die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit dieses Vorhabens und so fiel in den Jahren 1854/1855 beinahe die Hälfte der historischen Bausubstanz der Grazer Burg der Demolierung zum Opfer. Josef Scheiger, k. k. Postdirektor in Graz, seit 1850 Ausschussmitglied des Historischen Vereins für Steiermark und Konservator der k. k. Central-Commission für Graz, hatte sich für die Erhaltung der Renaissance-Prunkstiege eingesetzt und für ihre Einbeziehung in bestehende Neubaupläne plädiert.1 An übergeordneter Stelle in Wien wurde jedoch anders entschieden und auch diese Treppe wurde abgebrochen.
In der Ortsbildersammlung des Steiermärkischen Landesarchivs befinden sich 28 Aquarelle, Zeichnungen und Skizzen von Joseph Kuwasseg (1799–1859) und Carl Reichert (1836–1918) sowie 12 fotografische Aufnahmen, die den Baubestand der Grazer Burg kurz vor und während der angesprochenen Demolierungsarbeiten zeigen.2 Der Schwerpunkt der bildlichen Dokumentation liegt dabei auf jenen Gebäudeteilen, die ab 1854 abgebrochen worden sind.
Initiatoren der Bestandsaufnahme und deren Auftraggeber waren der Vorstand der k. k. steiermärkischen Landesbaudirektion Martin Kink und der k. k. Statthalter von Steiermark Michael Graf Strassoldo. Eine zusätzliche wichtige Rolle kommt dem Historischen Verein für Steiermark zu. Dieser widmete sich seit Beginn seines Bestehens 1850 nicht nur der Sammlung von Archivalien und Bodendenkmälern, sondern auch der Sicherung von historischen Bauwerken.
Der k. k. Landesbaudirektor für Steiermark Martin Kink berichtet in einem Schreiben vom 14. Jänner 1855 an die k. k. Central-Direktion zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, dass er „vor der Demolirung der alten Hofburg in Graz einzelne Bestandteile derselben so wie überhaupt die verschiedenen Ansichten dieser alten Burg genau aufnehmen ließ“ und diese Zeichnungen dem Statthalter der Steiermark Michael Graf Strassoldo hat zukommen lassen.3
Graf Strassoldo, der in der Literatur immer wieder als Auftraggeber einer bildlichen Dokumentation genannt wird,4 bestellte bei Josef Kuwasseg und Carl Reichert einen Aquarell-Zyklus mit Ansichten der Grazer Burg. Er dachte an ein repräsentatives Geschenk für das Kaiserhaus. Das Ergebnis ist das sog. „Burgalbum für Erzherzogin Sophie“ in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.5 Es enthält 20 Aquarelle, zehn Arbeiten von Kuwasseg und zehn von Reichert, aufbewahrt in einer in rotes Leder gebundenen Mappe, die auf dem Deckel das kaiserliche Wappen trägt.
Die Vorarbeiten für dieses Werk sind die angesprochenen Aquarelle, Studien und Fotografien im Steiermärkischen Landesarchiv.
In die Dokumentations-Frage involviert war, wie erwähnt, vor allem auch der Historische Verein für Steiermark. Im handschriftlichen Protokoll der Vereinssitzung vom 9. November 1853 vermerkt der Vereinssekretär Georg Göth unter Punkt 2: „Der Vereinssekretär macht bemerklich, dass bei dem nahe bestehenden Abbruche des älteren Theiles der Burg in Gratz die Ablichtung einzelner Theile derselben sowie die Bewahrung und Berücksichtigung der alterthümlichen Gegenstände dringend nothwendig sei.“ Und es heißt: „Es wurde beschlossen, die bezeichneten Parthien der abzubrechenden Burg daguerotipiren [sic]6 zu lassen und an den Herrn Statthalter eine auf die Conservirung bezügliche Bitte zu stellen. Es will jedoch der hochw. Hr. Vereinsdirektor mündlich mit dem Herrn Statthalter Rücksprache pflegen.“ Aus dem Protokoll der darauffolgenden Sitzung am 17. Dezember 1853 ist unter Punkt 16 bereits zu erfahren: „Der Vereinssekretär zeigte die Photographien vor, die er im Auftrage des Ausschusses von den abzureissenden Theilen des hiesigen k. k. Burggebäudes machen ließ“ sowie „Der dafür zu bezahlende Betrag wurde genehmigt.“7 Erzherzog Johann von Österreich, Präsident des Vereins, schreibt in einer handschriftlichen Notiz von eben dieser Sitzung, dass „von der Burg, welche man abreisset, in mehreren Abbildungen daguerretypiert [sic] oder gezeichnet [wurde].“8 Unter den für das Jahr 1853 verzeichneten Rechungsabschlüssen des Historischen Vereines ist unter dem Datum 29. Dezember zu lesen: „Zahle den Photographen Prükner fl. 30.“9
In den Mitteilungen des Historischen Vereines 1854 ist die Demolierung von Teilen der Burg sowie die Fotodokumentation mehrmals Gegenstand von Hinweisen und Berichten. In seiner Ansprache vor der allgemeinen Vereinsversammlung am 16. Februar 1854 spricht der Obmann des Vereins Ludwig Crophius Edler von Kaiserssieg, Abt von Rein, von der „würdigen Aufgabe des Vereinssausschusses“, die Fotodokumentation in Auftrag gegeben zu haben, und der Vereinssekretär weist in seinem Jahresbericht für das vergangene Jahr 1853 darauf hin, dass „von jenen Theilen der hiesigen k. k. Burg, die durch den drohenden Einsturz zum Abtragen bestimmt worden sind, genaue photographische Abbildungen gemacht [wurden] und so dieser klassische ehrwürdige Bau aus dem XV. Jahrhunderte wenigstens in getreuen Bildern erhalten [wurde].“ Unter „E. Zeichnungen“ sind als Zuwachs „7 photographirte Ansichten der zum Abreissen bestimmten Theile der k. k. Burg in Graz“ verzeichnet. Dem Bericht über die Vereinssitzung am 16. Februar ist weiter zu entnehmen, dass die Fotografien neben anderen „im Sitzungslocale zur Ansicht aufgestellten Gegenständen“ für die anwesenden Vereinsmitglieder ausgestellt waren.10
In den zitierten Hinweisen auf die vom Historischen Verein beauftragte fotografische Dokumentation wird nur ein einziges Mal der Name eines Fotografen genannt und dies, wie erwähnt, im Rechnungsjournal 1853 und zwar [Gustav] Prükner, der für seine Arbeit 30 Gulden erhält. Ansonsten bleibt der Autor der Fotografien anonym. Aus den Erwähnungen ergibt sich die Zeitspanne, in der die sieben 1854 zitierten Fotografien entstanden sein müssen: der 9. November 1853 als terminus post und der 17. Dezember 1853 als terminus ante quem. Es fällt dabei auf, dass im Zusammenhang mit den beauftragten Fotografien nie von den, anderwärtig in Auftrag gegeben, Arbeiten von Josef Kuwasseg und Carl Reichert die Rede ist.
Die Existenz der im Landesarchiv aufbewahrten 12 Fotografien von der Grazer Burg – entstanden vor Beginn der Abbrucharbeiten, einige während der Arbeiten – und ihre Genese wurde in der Literatur bisher mehr oder weniger unabhängig von den ebenfalls hier befindlichen topografischen Dokumentationsskizzen bzw. Vorarbeiten von Kuwasseg und Reichert für das Burgalbum gesehen. Die Fotografien, die keine Signaturen tragen,11 wurden zwar immer wieder gemeinsam mit den Arbeiten von Kuwasseg und Reichert abgebildet – beispielsweise bei Viktor Thiel 1927 – ihre formale Zugehörigkeit zu den Aquarellen und Skizzen war bisher jedoch nicht Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit bzw. näherer Betrachtung.12
Armgard Schiffer-Ekhart schreibt die Fotos im Katalog der Ausstellung „Geheimnisvolles Licht-Bild – Anfänge der Fotografie in der Steiermark“ (Graz, 1979)13 dem „Wiener Daguerreotypisten Johann Bosch“ zu und dieser Einschätzung folgend gelten sie in der Literatur zur österreichischen Fotogeschichte bis jetzt als Werke von Johann Bosch.14
In den Monografien zu Carl Reichert und Joseph Kuwasseg15 wird die Zuschreibung von Schiffer-Ekhart übernommen, in den Publikationen zur Baugeschichte der Grazer Burg werden die Fotos ohne Angabe eines Autors zitiert und abgebildet oder sie gelten ebenfalls als Arbeiten von Johann Bosch.
Anlässlich der Vorbereitungsarbeiten für die Ausstellung „Ein.Blick. Die fotografischen Bestände des Steiermärkischen Landesarchivs“ 2011 erfolgte eine eingehende Analyse der 12 Fotografien der Burg und ihr genauer Vergleich mit den Aquarellen, Studien und Skizzen von Kuwasseg und Reichert für das Burgalbum.
Die Zuschreibung der Fotoserie von Schiffer-Ekhart an Johann Bosch als Autor wurde nicht übernommen, zumal unklar war, auf welche Quellen sie sich stützt. Die Frage nach dem Autor wurde also neu gestellt. Aus formalen Gründen und aus Gründen der bestehenden engen persönlichen Beziehung zwischen Josef Kuwasseg, Carl Reichert und dem Fotografen Heinrich Reichert, dem Vater von Carl Reichert, erschien eine Zuschreibung an Heinrich Reichert als Autor zumindest als Hypothese naheliegend und überzeugend.
An dieser Hypothese wurde auch während der Arbeiten an dem vorliegenden Text zur aktuellen Fotografie des Monats festgehalten, zumal in den Textstellen in den einschlägigen Akten lange keine Nennung eines Fotografennamens zu finden war. Aufgrund der Freundschaft der drei beteiligten Personen Josef Kuwasseg sowie Carl und Heinrich Reichert und der nachweisbaren künstlerischen Zusammenarbeit der Genannten in der fraglichen Zeit in Graz16 und angesichts der Tatsache, dass Heinrich Reichert in diesen Jahren nicht nur als Lithograph, sondern auch als Fotograf in Graz tätig war, erschien eine Zuschreibung an Heinrich Reichert weiterhin plausibel.
2011 war im Rahmen der Ausstellung eine vertiefende Akten- und Literaturrecherche zur Autorenschaft der Fotos aus Zeitgründen nicht möglich gewesen. Nun hat sich nach einer solchen, auf Grund einer einzigen Namens-Erwähnung in den Akten, schließlich doch Gustav Prükner als Autor der Fotografien herausgestellt,17 allerdings auch diesmal über den Umweg über Heinrich Reichert.
Von den zwanzig in Aquarell ausgeführten Blättern von Kuwasseg und Reichert im „Burgalbum für Erzherzogin Sophie“ in Wien gibt es für 19 Motive eine oder mehrere Studien der beiden Künstler und für sechs Motive eine oder mehrere Fotografien von Gustav Prükner.
Als aktuelle Fotografie des Monats wird ein Beispiel präsentiert, das für die enge formale Nähe der Fotoserie von Gustav Prükner und einiger Blätter von Joseph Kuwasseg bzw. Carl Reichert steht.
Im konkreten Fall geht die Übereinstimmung sogar so weit, dass das Foto von Prükner und die Sepiazeichnung von Kuwasseg in Bildausschnitt und Maßstab vollkommen deckungsgleich sind. Das Foto ist gegenüber der Zeichnung rechts und links etwas beschnitten.18
Die Ansicht zeigt einen Blick von der Burggasse auf die Eingangsfront der Burg mit dem Trompetergang und dem Uhrturm des Palas. Links und rechts sind, von den Bildrändern angeschnitten, der Dom bzw. das Haus Burggasse 1 zu sehen. Josef Kuwasseg erweitert das Bild gegenüber der Fotografie geringfügig im Vordergrund, d.h. er „verlängert“ es im unteren Bereich des Blattes. Die Kutsche links neben dem Eingangstor und ein Fenster im Erdgeschoß rechts lässt er weg und er ergänzt die Ansicht mit Staffagefiguren, wodurch er mehr Räumlichkeit und Lebendigkeit erzielt.
Ein anderes aquarelliertes Blatt von Kuwasseg zeigt ebenfalls die Eingangsfront der Burg von der Burggasse aus, allerdings aus größerer Entfernung, sodass links im Bild auch noch die Apsis des Doms, die Türme des Mausoleums und die Häuser Burggasse 2 und 4 zu sehen sind (StLA-OBS-II-F-2-A-2-01). Diesen Blick hat er schlussendlich für das „Burgalbum der Erzherzogin Sophie“ in Aquarell ausgeführt.
Zu einem vergleichenden Betrachten der Fotografie von Gustav Prükner und der Sepiazeichnung von Joseph Kuwasseg und zum Versuch, die beiden Blätter nicht mit heutigen Augen, sondern mit den Augen eines Betrachters der Mitte des 19. Jahrhunderts zu sehen, d. h. auch die Stimmungen der unterschiedlichen Darstellungsformen zu erfassen, findet sich ein zeitgenössischer Text, erschienen in der Grätzer Zeitung vom 17. 5. 1842, also drei Jahre nach der Erfindung der Fotografie und etwas mehr als zehn Jahre vor den Burg-Fotografien. Im Zusammenhang mit der Besprechung eines lithographischen Zyklus von Joseph Kuwasseg heißt es dort u. a.: „Die Besorgniß, Daguerre‘s gepriesene und gewiß höchst verdienstliche Erfindung werde das Landschaftszeichnen außer Curs bringen, ist wohl so ziemlich allgemein verschwunden; man hat sich überzeugt, dass diese Silhouetten der Natur ihre Aufgabe mit mathematischer Richtigkeit, aber auch mit mathematischer Trockenheit lösen; dass sie als vortreffliches Hülfsmittel dienen, aber die Hand des Menschen, der sein Object geistig auffassen und durchfühlen muß, nie entbehrlich machen können; dem Einsichtsvollen wird ihre Nützlichkeit nicht entgehen, aber sie liefern ihm zugleich den Beweis, daß es immer und allenthalben einer höheren Intelligenz, daß es der Seele bedürfe, wenn eine Darstellung das Gemüth ansprechen und jener Würze theilhaft werden soll, die dem Genusse von Kunstgebilden jeder Art eigenthümlich ist.“19
Von Gustav Prükner (auch Prückner, Prickner), sind keine Lebensdaten bekannt. Er gehört jener Generation von Fotografen der Frühzeit an, die noch keine fixen Ateliers hatten und ihre Dienste als Porträt- und/oder Architekturfotografen von Stadt zu Stadt ziehend in vorübergehend gemieteten Ateliers anboten. Ihre Werke stellten diese sog. „Wanderdaguerreotypisten“ bzw. „Wanderfotografen“ für ihre Klientel häufig in Kunsthandlungen aus, im Fall von Gustav Prükner war es 1843 die „Kunsthandlung von Herrn Hubner“20 in Graz. Viele dieser Fotografen, so auch Prükner, wurden später sesshaft.
Aufgrund von Annoncen in der Grätzer Zeitung weiß man, dass sich Prükner im Herbst 1843 in Graz aufgehalten hat. Im September gibt er „dem verehrenswürdigen Publikum“ bekannt, dass er sich „auf seiner Durchreise nach Italien hier mit der Erzeugung daguerreotypirter Porträte von außergewöhnlicher Vollendung beschäftige … und seine Producte wohl schwerlich übertroffen werden dürften …“. In dieser Annonce bezeichnet er sich als „Gustav Prükner, Porträtmahler aus Wien“. Im November unterstreicht er im Text seiner mit G. Prickner gezeichneten Anzeige, „es sei ihm gelungen, eine Art des Daguerreotypierens zu finden, wodurch allen Vorwürfen der gewöhnlichen Lichtbilder begegnet wird, indem seine gegenwärtig verfertigten Porträte die wahre Seite zeigen, nicht älter machen und sich daher eine noch größere Ähnlichkeit, wie bisher, als Resultat ergibt.“21 Sein Atelier befand sich zu dieser Zeit am Hauptwachplatz Nr. 226 im dritten Stock rechts. 1855 war er in Agram als Fotograf tätig.22 Wann sich Prükner in Graz niedergelassen hat und wie lange er hier geblieben ist, ist nicht bekannt, jedenfalls scheint er im Grazer Adressbuch von 1862 mit der Atelieradresse Realschulgasse 171/1 auf. Er dürfte um 1860 einer der bekannten Grazer Atelierfotografen gewesen sein, zumal sich in privaten Fotoalben häufig Porträtfotografien, meist Ganzfigurenbildnisse im Carte-de-Visite-Format, von ihm finden, so auch in privaten Nachlässen im Steiermärkischen Landesarchiv. Auch in der Porträtsammlung des Archivs ist er mit fotografischen Porträts vertreten.
Aus seiner Frühzeit als Wanderfotograf datiert eine Daguerreotypie von Graz, ein Blick vom Hauptwachplatz (Hauptplatz) in die Herrengasse. Das Original ist verschollen, es existiert von der Ansicht nur eine Reproduktion von Hans Frank (1908-1987).23
1859 hatte Prükner einen prominenten Kunden zu porträtieren, Erzherzog Johann von Österreich. Die Fotografie, vermutlich eine Salzpapierkopie, die sich in Privatbesitz befindet24, zeigt den Erzherzog in Feldmarschallsuniform, mit verschränkten Armen auf einem Sessel sitzend und in die Kamera blickend. Das einfühlsame Bildnis ist 14 Tage vor seinem Tod entstanden. Es diente Josef Kriehuber als Vorlage für eine Lithographie, in welcher dieser das Porträt Prükners originalgetreu, vergrößert, lithographisch umsetzt. Das Blatt enthält neben technischen Angaben und der Signatur Kriehubers das Entstehungsdatum der Fotografie, bezeichnet mit „Nach der Natur photographiert am 30. April 1859 von G. Prückner. Eigentümer und Herausgeber G. Prückner in Graz“.25 Auch Anna Gräfin Meran, Erzherzog Johanns Ehefrau, wurde, vermutlich bei derselben Sitzung, von Gustav Prükner fotografiert. Zwei Fotografien im Carte-de-Visite-Format zeigen sie in ganzer Figur, stehend in einem Atelierambiente.26
Aus der Zeit um 1855/1860 stammt ein weiteres Porträt von der Hand Gustav Prükners, das sich in der Porträtsammlung des Landesarchivs befindet: Ladislaus Graf Ostrowski (1790-1869), in Graz im Exil lebender polnischer Reichsmarschall. Der Salzpapierabzug trägt auf dem Passepartout den Prägestempel „G. Prükner, Fotograf Graz“27.
Die Aufnahmen von der Grazer Burg, sämtliche als Salzpapiere ausgeführt,28 die nun überraschend Gustav Prükner zugeschrieben werden können, nehmen in der Reihe seiner Werke einen besonderen Platz ein. Für die Erforschung und Darstellung der frühen Dokumentationsfotografie in Österreich kann es als Erfolg gewertet werden, dass es nun gelungen ist, diese bedeutende Fotoserie einem Autor zuzuweisen, einem, von dessen Oeuvre bisher wenig bekannt war.
Dass der Wert und die Bedeutung der Fotografie als Dokumentationsmedium schon im 19. Jahrhundert anerkannt waren und Fotografien als Quelle genutzt wurden, sei hier durch ein Beispiel belegt, dass in direktem Zusammenhang mit Gustav Prükners Fotografien von der Grazer Burg steht. 1885 erschien in den Mitteilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale ein Artikel über die Grazer Burg.29 Vincenz Leicht-Lychdorff, Korrespondent der Kommission, beschreibt in seinem über 20 Seiten gehenden Text detailliertest die baulichen Gegebenheiten der Burganlage inklusive jener Teile, die 30 Jahre vorher abgebrochen worden sind. Er illustriert seinen Text u. a. mit Zeichnungen, die er – dies zeigen entsprechende Vergleiche – nach Fotografien Prükners und/oder nach Skizzen und Aquarellen Kuwassegs und Reicherts hergestellt hat. Die Fotografien und die Arbeiten Kuwassegs und Reicherts dienten ihm, neben Texten, Plänen und älteren Ansichten der Burg, auch für die Beschreibung der nicht mehr existierenden Gebäudeteile. Bei der Textpassage über die abgebrochene Stiege von Domenicodell’ Allio spricht er von der „freie[n] Prunkstiege, die in edelster italienischer Renaissance componirt war und von der nun leider nichts als einige verblasste photographische Abbildungen erhalten geblieben sind.“30
Wie unsere Beispiele zeigen, waren es in den ersten Jahrzehnten nach der Erfindung der Fotografie grafische Arbeiten gleichwohl wie Fotografien, die als Dokumentationsmedium dienten und als Quellen herangezogen worden sind. Dies sollte sich aber in den folgenden Jahrzehnten grundlegend ändern.
In Fortsetzung der zitierten optimistischen Gedanken zum Thema Malerei und Fotografie in der Grätzer Zeitung von Mai 1842 bemerkt Wilfried Skreiner 1978: „Seine [Carl Reicherts] vielen Bleistiftzeichnungen, die als Skizzen für spätere Werke entstanden ... zeigen, wie bei Joseph Kuwasseg, daß der Vedutenkünstler dieser Zeit über die Mittel verfügt, seine topographischen Ansichten mit einer solchen Präzision zu erarbeiten, daß sie für unsere Augen wie nach einer photographischen Vorlage entstanden erscheinen. Aber die Entwicklung der Photographie und der Kunst berühren sich in dieser Zeit. Und unmittelbar darauf wird die Photographie die Aufgabe übernehmen, die topographischen Gegebenheiten festzuhalten. [Carl] Reichert geht daraufhin nach Wien und porträtiert Menschen und Hunde, da ihm die Photographie den Lithographierstift sozusagen aus der Hand genommen hat.“31
Gustav Prükner
(als Fotograf aktiv ca. 1843 bis 1865)
Graz, Blick von der Burggasse auf die Eingangsfront der Burg mit dem Trompetergang und dem Uhrturm des Palas, November / Dezember 1853
Salzpapier, 24 x 19,2 cm (Karton 29,3 x 23,1 cm)
StLA-OBS-Graz-II-F-2-A-2-004
Joseph Kuwasseg (1799–1859)
Graz, Blick von der Burggasse auf die Eingangsfront der Burg mit dem Trompetergang und dem Uhrturm des Palas, Herbst / Winter 1853
Sepiazeichnung, 27,6 x 21,4 cm (Karton 30 x 23,4 cm)
StLA-OBS-Graz-II-F-2-A-2-002