Dr. [Hermann] Heid Wwe., Wien
„Oesterreichisch-Alpine Montan-Gesellschaft, Wien. Erzberg-Ansicht vom Spitzbrand“, um 1881/1885
Albuminpapier, 42,6 x 55,2 cm (Karton 65 x 73,5 cm), bezeichnet auf dem Untersatzkarton.
Die Fotografie stammt aus einer 23 Stück umfassenden Serie großformatiger Aufnahmen vom steirischen Erzberg. Bildautoren der Fotos sind Dr. Hermann Heid (1834–1891), Wien, bzw. dessen Witwe Antonia Heid, die nach dem Tod ihres Mannes Abzüge von seinen Aufnahmen angefertigt und vertrieben hat.
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Die Fotoserie aus dem Wiener Atelier Dr. Heid ist Teil eines größeren Konvoluts von Aufnahmen im Bestand Voest-Alpine Erzberg des Steiermärkischen Landesarchivs, welche Arbeiten am Erzberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen. Dem Betrachter von heute wird anhand dieser Dokumentaraufnahmen eindrucksvoll vor Augen geführt, mit welch im Vergleich zu heute “bescheidenen“ technischen Hilfsmitteln man zu dieser Zeit derart gewaltige Eingriffe in den Berg zustande brachte, die dem Erzberg im Grunde sein heutiges Aussehen gegeben haben. Auf der anderen Seite machte das Medium Fotografie für den damaligen Betrachter dieser Fotos erstmals in realistischer Weise die Monumentalität des Berges und die Größenrelation Berg – Maschine – arbeitender Mensch nachvollziehbar und erlebbar.
Dazu hat sicher auch das für die damalige Zeit ungewöhnlich große Format der 23 Fotografien beigetragen. Um einen Abzug in einer bestimmten Größe herstellen zu können, musste das Negativ dieselbe Größe aufweisen wie das gewünschte Format der fertigen Fotografie. Die Positive wurden im Kontaktkopierverfahren hergestellt. Dabei wurde das belichtete und entwickelte Glasplatten-Negativ in einem Kopierrahmen auf ein chemisch lichtempfindlich gemachtes Blatt Papier gelegt und so lange dem Sonnenlicht ausgesetzt bis es „entwickelt“ war. Zwar kamen bereits seit den späten 1850er-Jahren Tageslicht-Vergrößerungsapparate, so genannte „Solarkameras“ in Gebrauch, mit denen man vergrößerte Abzüge von Glasplattennegativen herstellen konnte, jedoch waren diese und auch andere Verfahren zur Herstellung vergrößerter Abzüge von (kleineren) Negativen damals noch nicht ausgereift. Das Arbeiten mit ihnen war umständlich und die Ergebnisse waren meist nicht befriedigend. Erst mit der Popularisierung der sogenannten „Gaslichtpapiere“ und der Entwicklungspapiere Mitte der 1880er-Jahre – diese Papiere waren so lichtempfindlich, dass sie auch bei künstlicher Beleuchtung kopiert werden konnten – fanden auch Vergrößerungen von Negativen weitere Verbreitung.
Davor musste sich der Fotograf, wollte er großformatige Aufnahmen herstellen, mit einer entsprechend großen Kamera, großen Glasplatten, einem schweren Stativ und anderem Zubehör an den Aufnahmeort begeben. Um dies bewerkstelligen zu können, waren nicht selten neben dem Fotografen selbst Träger, oft auch Lasttiere, erforderlich.
Die Aufnahmen vom Erzberg wurden vermutlich im Auftrag der 1881 gegründeten Oesterreichisch-Alpine Montan-Gesellschaft mit Sitz in Wien hergestellt. Daraus lässt sich vielleicht auch das große Format der Abzüge erklären: Sie sollten die Monumentalität des Berges und die technische Leistung, die zum Abbau des Erzes erforderlich war, auch im zweidimensionalen Abbild anschaulich wiedergeben.
Links im Vordergrund der Aufnahme ist andeutungsweise und unscharf der linke Arm des Fotografen zu sehen. Dieser Umstand erlaubt uns einen, vom Fotografen nicht beabsichtigten, interessanten Einblick in die Arbeitssituation zum Zeitpunkt der Aufnahme: der Fotograf hat sich links vor die auf dem Stativ montierte Kamera gestellt um die Funktion der Kamera, unter anderem die Funktion des Verschlusses, zu überprüfen. Während der Aufnahme konnte er seinen Standpunkt im Hinblick auf den Aufnahmewinkel des Objektivs nicht kontrollieren und steht so weit in dessen Aufnahmebereich, dass sein Arm mit abgebildet wird.
Das Bild zeigt eine „Ansicht vom Spitzberg“. Der steirische Erzberg liegt in der an Bodenschätzen reichen Grauwackenzone und gilt als weltweit größte Sideritlagerstätte. Er sollte, einer Sage nach, „Eisen auf immerdar“ liefern. Heute ist das Ende des Bergbaus am „ehernen Brotlaib“ des Landes bereits absehbar. Der Abbau im größten (Erz)Tagbau Mitteleuropas erfolgt mit modernsten Mitteln, darüber hinaus werden Teile des Erzberges touristisch genutzt.
Bis zur Einführung des Tagbaus, bei dem die Erze von „aussen“, der Oberfläche des Berges ausgehend, gewonnen wurden, fand der Abbau im ungeregelten Grubenbau unter Tag statt. Seit der Einführung des Pulversprengens um 1720 und gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich der Tagbau auf der Innerberger (Eisenerzer) Seite des Erzberges weitgehend durchgesetzt, sodass zur Zeit der Aufnahme der größte Teil des Erzes tagbaumäßig gewonnen wurde. Dabei begnügte man sich damit, möglichst große Teile eines Lagers abzudecken, d. h. vom überlagernden „tauben“ Gestein zu befreien, und der Verwitterung zu überlassen. So hatte man bloß die auf natürliche Weise hereinbrechenden Erze zu sammeln und – wo es notwendig war – durch „Abrenken“ nachzuhelfen. Bei dieser Arbeit wurde das Erz mittels einer Eisenstange (Renkstange) von tauben Gesteinsbrocken getrennt. Im Winter, wenn die Arbeit über Tag zu beschwerlich wurde, gewann man die Erze weiterhin im Grubenbau.
Die durchlaufende Etagierung, die heute das Erscheinungsbild des Erzbergs prägt, wurde anstelle der alten, unregelmäßigen Tagbauten ab Beginn der 1880er-Jahre eingeführt. Auf einigen Fotografien der Serie ist diese Etagierung bereits zu sehen.
Die Serie großformatiger Fotografien sowie weitere kleinformatige Aufnahmen zum Thema in der Ortsbildersammlung des Steiermärkischen Landesarchivs, auf denen im Gegensatz zu den großen Formaten zum überwiegenden Teil Menschen bei der Arbeit am Berg gezeigt werden, berühren den Betrachter in einer unmittelbaren Weise. Sie führen Arbeitssituationen und Lebensumstände vor Augen, „wie es eine bloße Beschreibung nicht vermochte“ (Zitat), eine Feststellung, die – allerdings in einem anderen Zusammenhang – der New Yorker Polizeireporter Jacob A. Riis 1892 zu seinen sozialkritischen Dokumentaraufnahmen getroffen hat.