Walther Caspaar (vermutlich)
Kaffeegesellschaft im Park von Schloss Trabuschgen bei Obervellach in Kärnten, um 1897
Cyanotypie, 9 x 13 cm, unbeschnittene Kontaktkopie von einem Planfilmnegativ
StLA-Caspaar, Familie
Die aktuelle Fotografie des Monats stellt anhand eines frühen Beispiels eine in der Fotografie-Geschichtsschreibung lange Zeit wenig beachtete und in den letzten Jahren vermehrt wissenschaftlich untersuchte und dargestellte Sparte der Fotografie vor: die sog. „Knipserfotografie“.
Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts – 40 Jahre nach der „Erfindung“ der Fotografie 1839 – war die Fototechnik auf einem Stand, der es nicht nur Professionisten, sondern auch technisch versierten Laien erlaubte, qualitätsvolle Fotos anzufertigen.
Die Verbreitung der 1871 von Richard Leach Maddox publizierten industriell hergestellten Gelatine-Trockenplatte, die das in der Anwendung äußerst komplizierte nasse Kollodiumverfahren ablöste, ging Hand in Hand mit der Erzeugung leichter benutzbarer Kameras mit lichtstärkeren Objektiven und somit kürzeren Belichtungszeiten. Mit diesen technischen Neuerungen ausgestattet, war es möglich, beinahe zu jeder Zeit und an jedem Ort Gesehenes und Erlebtes auf Fotoplatten festzuhalten.
Obwohl diese Entwicklung und weitere technische Neuerungen eine Verbilligung auf dem Fotosektor zur Folge hatten, sollte es doch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein einer kleinen begüterten Gesellschaftsschicht vorbehalten bleiben, selbst zu fotografieren. Daran änderte auch die 1888 von Georges Eastman auf den Markt gebrachte Box-Kamera, die durch die Verwendung eines biegsamen Rollfilms die Herstellung fotografischer Aufnahmen noch einfacher machte und deshalb mit dem vielzitierten Slogan "You press the button, we do the rest" einem großen Käuferkreis von Amateurfotografen angepriesen wurde, nicht wesentlich etwas. Es war allerdings nicht die Firma Kodak allein, die diese neuen Kameras für Amateure produzierte, sondern es gab gleichzeitig auch andere Hersteller, die Box-Kameras herausbrachten, die mit dem neuen Zellulosenitratfilm arbeiteten.
Vornehmlich Künstler und Angehörige der Aristokratie und des gehobenen Bürgertums entwickelten ab den 1890er Jahren ein reges Interesse an der Fotografie. Sie konnten sich das Fotografieren als Freizeitbeschäftigung leisten, sie pflegten gesellschaftliche Kontakte, sie unternahmen – im Gegensatz zu niedrigeren sozialen Schichten – Reisen und sie hatten die Muße, in ihrem Alltag Motive zu suchen und zu finden, die ihnen fotografierenswert schienen. In ihren Kreisen galt es als fortschrittlich und modern, selbst zu fotografieren.
Die private Fotografie der Zeit von ca. 1890 bis in die 1920er Jahre wird in der Fotografie-Historiographie mit den Begriffen "Amateurfotografie" und "Knipserfotografie", zwei in der Zeit entstandenen Termini, charakterisiert. Es handelt sich dabei um zwei sich sozusagen gegenüber stehende „Lager“ privat Fotografierender. Während die „Amateure“ mit einem technisch und künstlerisch hohen Anspruch arbeiten, ihre Fotos meist selbst entwickeln und kopieren, sich in Vereinen organisieren und ihre Werke in Ausstellungen präsentieren und zum Kauf anbieten, legen die „Knipser“ keinen besonderen Wert auf technische Belange und den Gehalt ihrer Bilder und sie verfolgen keinerlei kommerzielle Absichten. Beiden Gruppen gemeinsam sind die Distanzierung von der Tradition der professionellen (Atelier-)Fotografie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wenngleich es stilistische Bezüge gibt, und der private Charakter ihrer Arbeiten. Anfangs ist die Abgrenzung zwischen beiden Gruppen deutlich – der zunächst tatsächlich abschätzig gemeinte Begriff „Knipser“ wurde von den anspruchsvolleren Amateuren geprägt – später werden die Grenzen fließend und Knipser finden sogar Aufnahme in kunst- und amateurfotografische Vereinigungen.
Der Fokus der Knipser ist ganz auf ihre private Welt gerichtet, auf Erlebnisse und Aktivitäten, die sich meist in der Freizeit abspielen. Auch das Fotografieren selbst und das gemeinsame nachträgliche Betrachten der Fotos sind Teil dieser Freizeit. Die Nutzung der Fotografien ist eine private und das Publikum ist ein privates, d.h. Familienmitglieder, Freunde und Bekannte. Die Fotografien sind wesentlicher Bestandteil des Sich-Später-Erinnerns, welchem sie soz. als Illustration und Ergänzung dienen. Die Gestaltung der Fotos, die Wahl von Motiv und Bildausschnitt sowie die Anzahl der „geknipsten“ Aufnahmen geschehen individuell, spontan, aus dem Moment heraus.
Die reiche Bilderwelt der Knipser umfasst Impressionen vom Familienleben, vom Familienalltag ebenso wie von markanten Stationen in den Biografien von Familienmitgliedern, von Kontakten mit Freunden, von Urlauben, Reisen, Ausflügen, sportlicher Betätigung etc. – alles in allem von Situationen, Ereignissen und Erlebnissen, die vom Bildautor als bedeutsam und somit dokumentierenswürdig empfundenen werden. Die Aufnahmen werden, mit schriftlichen Kommentaren versehen, meist in Fotoalben archiviert oder sie werden lose aufbewahrt. Häufig gibt es allerdings auch private Fotobestände ohne jegliche schriftliche Anmerkungen aus der Entstehungszeit der Fotos.
Das vorgestellte Foto stammt aus dem Familienarchiv Caspaar, das vor wenigen Jahren in das Steiermärkische Landesarchiv gelangt ist. Es reicht zeitlich vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und ist u.a. deshalb von Interesse, weil sich darin tausende Briefe und Postkarten als Zeugnis einer regen Korrespondenz innerhalb der verzweigten Familie, aber auch mit Freunden und Bekannten, erhalten haben. Gemeinsam mit ebenfalls vorhandenen Tagebüchern einzelner Familienmitglieder sowie historischen Photographien vermittelt dieser Briefwechsel ein lebendiges Bild vom Alltag des gehobenen Bürgertums der Steiermark und Kärntens in jener Zeit.
Durch die Eheschließung zwischen dem Leobener Bezirkswundarzt Valentin Caspaar und der Johanna Mark, Tochter eines Grazer Seifensieders und Viertelmeisters, verbanden sich 1839 zwei bemerkenswerte Familien. Die Caspaar stellten Bader, Verwaltungsbeamte und einen Bürgermeister von Leibnitz, ein Bruder des Bräutigams war Schauspieler und Gesangslehrer. Die Seifensieder-Familie Mark war vom untersteirischen Cilli nach Graz gekommen, wo Josef Mark, der Vater der Braut, nach der Gesellenwanderung im revolutionären Frankreich und Übernahme des väterlichen Gewerbebetriebes es bis zum Viertelmeister (gleichsam einem Unterbürgermeister) von Graz brachte und im Umfeld von Erzherzog Johann als Wohltäter im Armen- und Sozialwesen wirkte. Seine Ehe mit Maria Piccardi verschwägerte ihn mit führenden Advokaten und Verwaltungsjuristen im Land.
Der Ehe von Valentin Caspaar und Johanna Mark entsprossen sieben Kinder, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten. Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog die Mutter ihre Kinder im Haus in Leoben alleine auf. Johanna (geb. 1840) und Dr. med. Josef Caspaar (geb. 1841), Werksarzt in Vordernberg und dort auch volksbildnerisch und als Sammler historischer Quellen und Belege über die Volkssprache tätig, blieben unverheiratet und lebten bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in ihrer neuerbauten Villa in Gösting bei Graz. Marie Caspaar (geb. 1842) heiratete den Notar Dr. Ludwig Gabriel, während die jüngeren Brüder Ing. Valentin (geb. 1848) und Dr. jur. Moritz Caspaar (geb. 1849) im Montanwesen Österreich-Ungarns tätig waren, ersterer als Hüttendirektor, letzterer als erster Generalsekretär der Alpine Montan Gesellschaft. Beide wählten ihre Ehefrauen ebenfalls aus angesehenen Bürgerfamilien.
Valentins gleichnamiger Enkel, der Veterinär Dr. Valentin Caspaar (geb. 1924), übergab die große Zahl von Familiendokumenten und Fotos schließlich dem Steiermärkischen Landesarchiv.
Nachträge, wie die jüngere Korrespondenz und historische Fotoalben, befinden sich noch im Besitz der Familie und werden zu gegebener Zeit vom Landesarchiv übernommen werden.
Das um 1897 entstandene Gruppenfoto zeigt, um den Tisch sitzend, die Geschwister Dr. Josef (mit Hut), Johanna (rechts vorne auf der Bank) und Ing. Valentin Caspaar (links vorne auf der Bank), dazwischen, mit dem Blick zum Betrachter, Valentins Ehefrau Pia geb. Wenger (Mitte, aus der Eigentümerfamilie des Schlosses Trabuschgen) und die Töchter Valentine (geb. 1890, links) und Hildegard Caspaar (geb. 1883, 2. v. r.). Hinter der Kamera und damit Urheber der Photographie wahrscheinlich der damals etwa 15jährige Sohn von Ing. Valentin und Pia Caspaar, Walther (geb. 1882), nachmals Oberingenieur in der Maschinenbauabteilung der k. u. k. Marine und Vater des Übergebers des Familienarchives Caspaar.
Die Aufnahme ist ein typisches Beispiel für private Fotografie der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das Motiv des familiären Beisammensitzens im Garten, auf der Veranda oder im Haus ist ein zu dieser Zeit sehr beliebtes und findet sich immer wieder in privaten Fotobeständen.
Mit der Präsentation der Cyanotypie 1842 durch den englischen Astronomen Sir John Herschel wird – nach der Entwicklung der Daguerreotypie durch die Franzosen Niecéphore Nièpce und Louis Jacques Mandé Daguerre, die 1839 vorgestellt wurde, und der vom Engländer Henry Fox Talbot 1841 zum Patent angemeldeten Talbot- oder Kalotypie – das dritte fotografische Positiv-Verfahren eingeführt.
Die bildgebende Substanz beinahe aller Fotografien – nicht nur des 19. Jahrhunderts – besteht aus Silbersalzen, die bei den meisten fotografischen Techniken in einer Emulsion eingebettet und auf einen Schichtträger aufgetragen das fotografische, im 19. Jahrhundert meist brauntonige, sichtbare Bild ergibt. Das für eine Cyanotypie charakteristische Blau entsteht durch das Zusammenwirken der am Herstellungsprozess beteiligten Chemikalien. Die bildgebende Substanz besteht, im Gegensatz zu den Silbersalzverfahren, aus Eisensalzen und diese liegen ohne eine Emulsion direkt im Bildträger. Eisensalzverfahren sind gegenüber Umwelteinflüssen sehr stabil und Cyanotypien gehören neben den 1880 vorgestellten Platindrucken zu den haltbarsten fotografischen Verfahren. Die Herstellung von Cyanotypien war relativ einfach, sodass sie bis etwa 1920 vor allem von gehobenen Knipsern gerne für die Herstellung von Kontaktkopien verwendet wurden.
Der Fotobestand im Familienarchiv Caspaar besteht aus professionellen Aufnahmen (Atelierfotografie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins beginnende 20. Jahrhundert in verschiedenen Formaten, einige gekaufte Stadtansichten im Visitformat, Fotoansichtskarten aus verschiedenen Epochen u.a.) und privaten Knipseraufnahmen (von ca. 1890 bis in die Zwischenkriegszeit und aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, Familienmitglieder und Freunde, Porträts und Gruppen, Familienleben, Ausflüge, Reisen etc.).
Die Fotografien liegen lose vor und sind, mit wenigen Ausnahmen, nicht beschriftet. Über die Autorenschaft(en) der privaten Aufnahmen gibt es derzeit nur Mutmaßungen. Ein Teil des Fotobestandes wurde im Zuge einer ersten Bearbeitung des Familienarchivs bereits identifiziert. Das Archiv ist über Vermittlung eines entfernt verwandten Archivars im Landesarchiv ins Haus gekommen und wird von diesem sukzessive inhaltlich bearbeitet.
Text zur Familiengeschichte Caspaar: Gernot Peter Obersteiner