Franz Walcher (1860-1949), Graz
Inneres der Lurgrotte, sog. „Schöne Grotte. Die Familie aus Ost“, 1894
Albuminpapier, 17,1 x 12,6 cm (Karton 28,3 x 23,3 cm); auf dem Untersatzkarton Aufdruck „Lurlochgrotte bei Semriach – Schöne Grotte. Die Familie aus Ost. 12. – Vervielfältigung vorbehalten – gesetzlich geschützt – Photographie und Verlag Prof. Ferd. Walcher Graz“, Rückseite Stempel „K. K. Universitäts-Bibliothek Graz“
StLA-OBS-Lurgrotte-II-16
Die Lurgrotte, die größte Tropfsteinhöhle Österreichs, liegt ca. 25 km nördlich von Graz in einem Karstgebiet, der sog. „Tanneben“. Sie erstreckt sich in Gestalt eines zusammenhängenden unterirdischen Höhlensystems von ca. 6 km Länge mit aktiven Bachläufen zwischen den Orten Semriach und Peggau, von wo aus sie seit 1913 jeweils zugänglich ist. Ihre Durchquerung erfolgte erstmals 1935.
Die offizielle Entdeckung der sog. „Lur(loch)grotte“ (zeitgenössisch auch „Lurloch“) datiert mit
1. April 1894. An diesem Tag gelang es dem Grazer Höhlenforscher italienischer Abstammung Max Brunello (1867-1935), Mitglied der 1891 gegründeten „Gesellschaft für Höhlenforschung in der Steiermark“, von Semriach aus, nach Überwindung einer Engstelle, in den tiefer gelegenen sog. „Großen Dom“ und in weitere Räume vorzudringen. Davor waren nur kleine Vorhöhlen im Eingangsbereich Semriach bekannt gewesen und man vermutete damals schon, dass der „Lurbach“ (auch „Semriachbach“), der eben dort in die Höhle einfließt, auf der anderen Seite des Berges bei Peggau wieder austritt.
Allgemein bekannt wurde die Lurgrotte durch ein Unglück, das sich Ende April 1894 ereignete. Sieben Forscher der Gesellschaft für Höhlenforschung waren trotz Schlechtwetters in die Höhle eingestiegen und von einbrechenden Wassermassen eingeschlossen worden. Erst neun Tage später, am 7. Mai 1894, konnten die Männer nach einer spektakulären Bergungsaktion, an der über 1000 Helfer beteiligt waren und die von 7000 Schaulustigen verfolgt worden war, durch Sprengung eines Rettungstollens befreit werden. Die Zeitungen, nicht nur die lokalen, berichteten - teilweise mit Zeichnern vor Ort, die das Geschehen für die Zeitungen illustrierten - ausgiebig über die Sache.
Das Unglück war letztlich durch den Forschereifer zweier einander konkurrenzierender Vereine mit ausgelöst worden, die beide nach dem Durchbruch, der Max Brunello gelungen war, bei der weiteren Erforschung der Höhlen und deren Durchquerung führend bzw. die ersten sein wollten: die Gesellschaft für Höhlenforschung in der Steiermark mit Sitz in Graz und der Verein der Schöckelfreunde in Semriach.
Nach dem Unglück wurde der Gesellschaft für Höhlenforschung von der Bezirkshauptmannschaft Graz das Recht, in der Lurgrotte zu forschen, entzogen und dieses dem Verein der Schöckelfreunde übertragen. Bald schon war daran gedacht, die mittlerweile sehr bekannte und von Fachleuten als Sehenswürdigkeit ersten Ranges eingestufte Tropfsteinhöhle nicht nur weiter eingehend wissenschaftlich zu erforschen, sondern auch als Schauhöhle auszubauen und zu adaptieren. Zu diesem Zweck wurde 1894 ein Lurgrotten-Fond gegründet und bereits am 14. August 1895 wurde die Höhle für Besucher geöffnet und die ersten Führungen fanden statt.
Ein Name, der im Zusammenhang mit der Geschichte der Lurgrotte nach der Katastrophe von 1894 immer wieder genannt wird, ist Prof. Ferdinand Walcher (1848-1918). Walcher, ein gebürtiger Ausseer, war Professor für Geographie, Geschichte und deutsche Sprache am Städtischen Mädchen-Lyceum in Graz, Hydrologe und Gründer und Obmann des „Lurloch-Grottenfonds“. In seiner 1895 im Selbstverlag in Graz erschienenen Publikation „Die Lurlochgrotte bei Semriach und ihre Schönheiten“ berichtet er über seine siebenwöchige Forschungsarbeit in der „Tropfstein-Wunderwelt“ (zit.) der Lurgrotte im Sommer 1894 und beschreibt genauestens die Räume, die zum damaligen Zeitpunkt bekannt waren: den Tropfsteingang, die Bären-Grotte, die Brüder-Grotte, den Großen Dom, die Schöne Grotte, die Tartarus-Grotte, die Tropfstein- oder Cascaden-Klamm und die Belvedere-Grotte. Dabei erklärt er die Namen der Räume sowie der einzelnen Tropfsteingebilde und dies in einer Sprache, in der seine Bewunderung und Begeisterung für die Thematik zum Ausdruck kommt. Er spricht über sein Fachgebiet, d.h. über seine hydrographischen Untersuchungen in der Höhle, vor allem des Semriachbaches, und die Möglichkeiten, die bestehende Hochwasserproblematik zu lösen, um einen gefahrlosen Besucherbetrieb gewährleisten zu können. Walcher selbst war von Anfang an ein Befürworter des Schaubetriebes der Lurgrotte gewesen. Er nennt die Namen seiner Mitarbeiter sowie der Fachleute und Wissenschaftler, die seit April 1894 in der Grotte tätig waren, ungeachtet dessen, ob sie den Schöckelfreunden oder der Höhlenforscher-Gesellschaft angehörten. Das Unglück von 1894 erwähnt er nicht.
Im letzten Kapitel seiner Publikation, das er unter den Titel „Aufruf“ stellt, appelliert Walcher an öffentliche Stellen, Vereine, Corporationen und Einzelpersonen, den für den Ausbau, die Erforschung und den Betrieb der Lurgrotte von ihm selbst und Gleichgesinnten gegründeten Fond finanziell zu unterstützen. In diesem Zusammenhang nennt er seinen Bruder Franz Walcher, mit dem er „kostspielige photographische Aufnahmen“ (zit.) zur Illustration seiner Grottenschilderung geschaffen habe, „nicht nur zu dem Zwecke hergestellt, um deren eigenartige Schönheiten zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, sondern auch, um aus deren Verkaufe einen namhaften Erlös für den Grottenfond zu gewinnen“ (zit.). Und er spricht von dem Plan, diese Fotos in Form von Lichtdrucken samt erläuternden Texten in einer mehrsprachigen „großen Pracht-Ausgabe“ (zit.), herauszugeben. Über das Erscheinen dieses Mappenwerks ist nichts bekannt. In der Grazer Tagespresse wird erwähnt, dass Walchers Fotos auch als Vorlage für Höhlendekorationen dienten, die 1894 und 1895 in Graz bei Faschings- und sog. „Touristenkränzchen“ verwendet wurden. Der Reinerlös der Veranstaltungen kam dem Fond zugute.
Die vorgestellte Fotografie der Schönen Grotte gehört zu einer über hundert Aufnahmen umfassenden Fotoserie der Lurgrotte in der Ortsbildsammlung des Steiermärkischen Landesarchivs. Die Fotos sind vermutlich alle während der von Ferdinand Walcher beschriebenen Forschungsarbeiten in der Lurgrotte im Sommer 1894 entstanden. Ihr Autor dürfte Franz Walcher (1860-1949) sein, wenngleich die Mehrzahl der Abzüge den in der Fotobeschreibung (siehe oben) zitierten Präge-Aufdruck, der namentlich nur Ferdinand Walcher nennt, trägt: Photographie und Verlag Prof. Ferd. Walcher, Graz. Einige Aufnahmen sind mit Franz Walchers Namen versehen, andere mit dem handschriftlichen Vermerk „Orig. Fotos von Franz Walcher“. Die Grazer Tagespost berichtet in ihrer Ausgabe vom 26. Juni 1894 unter Nennung der Namen sämtlicher Teilnehmer von einer „großen Expedition“ (zit.) in das Lurloch, an der auch „der landschaftliche Beamte Franz Walcher, welcher sich als Amateurphotograph eines sehr guten Rufes erfreut“ (zit.) teilgenommen habe. Franz Walcher, wie sein Bruder Ferdinand gebürtiger Ausseer, war Beamter der Steiermärkischen Landesbuchhaltung. Im Februar 1899 waren Landschaftsfotos von ihm in der Landes-Ausstellung für Amateurphotographie im Joanneum in Graz zu sehen.
Ferdinand Walcher beschreibt die hier im Foto vorgestellte sog. „Schöne Grotte“ als „Muster einer Giebelgrotte“ (zit.) von „blendender Weisse oder Goldfarbe“ (zit.), deren „wahrhaft brillanten Glanz“ (zit.) er mit dem der Adelsberger Grotte vergleicht. Die Raummitte nimmt „die ‘Familie’, eine Gruppe großer Doppel-Stalagmiten, drei bis vier Meter hoch“ (zit.) ein.
Auf fast allen Aufnahmen sind an zentraler Stelle Personen positioniert, wohl um die Dimension der Räume und ihrer Tropfsteinformationen deutlich zu machen. Als Beleuchtung für die Arbeit dienten laut Walcher Magnesium-Lampen, die den Forschern unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden waren.
Mitte der 1890er Jahre war das Fotografieren in Höhlen technisch keine allzu große Schwierigkeit mehr, wenngleich äußerst aufwändig und kostspielig – wovon Walcher in seiner Broschüre spricht. Dreißig Jahre früher waren die Aufnahmen eines damals in Graz tätigen Fotografen hingegen eine wahre Sensation: Emanuel Mariot (1825-1891) hatte 1867/68 mit nassen Kollodium-Platten und mit Hilfe eines brennenden Magnesiumbandes im Innern der Adelsberger Grotte fotografiert und war dafür von Kaiser Franz Joseph I ausgezeichnet worden.
Die genannte Fotoserie der Brüder Ferdinand und Franz Walcher im Steiermärkischen Landesarchiv sind die einzigen bekannten Fotografien aus der Entdeckungszeit der Lurgrotte. Sie wurden damals nicht und auch später nie publiziert. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass sie in Fachkreisen bis heute nicht bekannt sind. Bekannt und mehrmals publiziert sind hingegen die Skizzen und Ölbilder von Adolf Mayer sen. (1863-1926), die dieser seit 1894 von der Lurgrotte angefertigt hat.