S[amuel]. Volkmann (aktiv um 1860–1876)
Fotoalbum „Gleichenberg“, vor 1870
Schmutztitel handschriftliche Widmung: „Gleichenberg und seine Umgebung, nach der Natur photografirt von S. Volkmann in Graz und dem Wohlgebornen Carl Ohmeyer, Director des Gleichenberger Johannisbrunnen Actien-Vereines achtungsvoll gewidmet“; Einsteckalbum mit 36 Fotografien im Visitformat (ca. 6,1 x 10,3 cm Untersatzkarton), Orts- und Gebäudeansichten in Gleichenberg und Umgebung, Bildtitel; Albuminpapier, Einband braunes Leder, Titel „Gleichenberg“ in Goldprägung, Messingschließe, 10,7 x 14 x 4 cm Ortsbildersammlung Steiermark, OBS-Gleichenberg-Album-III-01
Die aktuelle Fotografie des Monats zeigt eine Doppelseite aus dem Gleichenberg-Album von Samuel Volkmann: links eine Ansicht der Villa Triestina, rechts einen Blick auf die Villa Weihnachtsbaum.
1833 hatte der Grazer Arzt Dr. Ignaz Werle die Heilkraft der in Gleichenberg und Umgebung entspringenden Quellen quasi wiederentdeckt, wenngleich schon aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert schriftliche Aufzeichnungen über die Verwendung von Heilwässern aus der Sulzleitenquelle – der späteren Constantinquelle in Gleichenberg –, der Johannisbrunnenquelle bei Straden und anderer Quellen in der Region bekannt waren.
Überreste eines römischen Brunnens und Münzen aus dem ersten bis dritten Jahrhundert nach Christus, die 1845 in Gleichenberg zutage kamen, zeigen, dass die Besonderheit des dortigen Wassers bereits in der Römerzeit bekannt war und genutzt wurde.
Durch seine Bekanntschaft mit Matthias Constantin Capello Graf von Wickenburg (1794-1880), 1830 bis 1848 Gouverneur der Steiermark, gelang es Dr. Werle, diesen für die Schönheit des Ortes Gleichenberg zu begeistern und sein Interesse an einem Ausbau der Heilquellen zu wecken. Wickenburg initiierte 1834 die Gründung eines Aktienvereins, der den Ankauf und die Revitalisierung der Quellen finanzierte sowie den Erwerb von Grundstücken, um auf diesen die für einen Kurbetrieb und die Unterbringung von Gästen notwendigen Bauten zu errichten. Bis zu seinem Tod 1880 fungierte Wickenburg als Präsident des „Gleichenberger Johannisbrunnen Actien-Vereines“, der bis 1875 seinen Sitz in Graz hatte, danach in Gleichenberg. Wickenburg blieb dem Ort Gleichenberg zeit seines Lebens sehr verbunden, hielt sich mit seiner Familie häufig dort auf und ließ im Laufe der Jahre selbst einige Häuser in Gleichenberg bauen.
Bereits 1835/36 waren die ersten Gebäude in Gleichenberg fertig: als erstes Haus das sog. „Ohmeyer’sche Haus“ (die spätere Villa Triestina), das Füllhaus Nr. 1 und das Badehaus Nr.1. 1837 wurden unter der Patronanz von Emma Gräfin Wickenburg, der Ehefrau des Gouverneurs, der Kurpark angelegt und weitere Gebäude wurden fertiggestellt. Mit 118 Kurgästen konnte man die erste offizielle Saison eröffnen.
In der Folge setzte, in zwei größeren Phasen (von etwa 1840 bis 1849 bzw. von 1870 bis 1879), eine rege Bautätigkeit ein. Gleichenberg entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem vielbesuchten eleganten Kurort, der mit bereits etablierten Heilbädern der Monarchie wie Bad Gastein, Bad Hall, Baden oder Bad Ischl erfolgreich in Konkurrenz treten konnte. Die Umbenennung Gleichenbergs in „Bad Gleichenberg“ erfolgte 1926.
1877 gab es 130 Gebäude im Ort, davon dienten 70 der Unterbringung von Gästen.
Die Anwendungen, die den Kurgästen zur Verfügung standen, reichten von Trinkkuren verschiedenster Art bei Erkrankungen der Atemwege und des Verdauungssystems über belebende Kohlensäure-und Fichtennadelbäder, Inhalationen und Schwimmanwendungen bis hin zu Milch- und Molkekuren, Körperbewegungstherapien und diätischen Maßnahmen.
Gleichenberg war berühmt für sein stabil mildes pannonisches Klima, für die Schönheit seiner Landschaft vulkanischen Ursprungs und die interessanten historischen Bauten in seiner Umgebung.
1881 besuchten 4.232 Personen den Kurort und der Export der Mineralwässer aus den Gleichenberger Quellen und dem benachbarten Johannisbrunnen betrug 490.432 Flaschen.
Das in Leder gebundene Fotoalbum, aus dem die beiden vorgestellten Bilder stammen, ist als Querformat angelegt, ebenso wie die Fotografien, allesamt Ausarbeitungen im Carte de Visite-Format 1. Es zeigt eingangs eine Panoramaaufnahme von Gleichenberg und in der Folge 26 Ansichten von einzelnen Gebäuden und Gebäudegruppen im Ort. Den Abschluss bilden zwei Ansichten des Schlosses Gleichenberg, eine Ortsansicht von Trautmannsdorf und vier Ansichten der Riegersburg.
Das Album ist so konzipiert, dass pro Seite ein Foto präsentiert wird, wodurch sich beim Durchblättern Bild-Doppelseiten ergeben. Die Fotos sind in Ausschnittfenster eingeschoben und in den Kartons fixiert. Jedes Foto ist mit einem handschriftlichen Bildtitel versehen.
Der Schmutztitel des Albums enthält eine Widmung und den Namen des Fotografen. Demnach ist der Grazer Stadtzimmermeister Carl Ohmeyer (1818-1886), seit 1860 Direktor des Gleichenberger und Johannisbrunnen Actien-Vereines, der Beschenkte und der Fotograf Samuel Volkmann aus Graz der Autor der Bilder. Das Album ist nicht datiert, jedoch kann aufgrund mehrerer Hinweise seine Entstehung kurz vor 1870 angesetzt werden.
Die vorgestellten Fotografien zeigen zwei prominente Gleichenberger Gebäude aus der ersten Bauphase, beide im Zentrum und in nächster Nähe der Constantin- und der Emmaquelle gelegen: die Villa Triestina, 1848/49 erbaut, und die Villa Weihnachtsbaum, 1845/46 erbaut.
Die „Villa Triestina“ wurde auf jenem Platz errichtet, auf dem 1835/36 vom Stadtbauamts- und Zimmermeister Christoph Ohmeyer aus Graz (1770-1851, Vater des Empfängers des Albums) das erste Wohnhaus in Gleichenberg gebaut worden war. Das sog. „Ohmeyer’sche Haus“ war ein Holzhaus, errichtet für die Unterbringung der ersten Gäste. So hatte sich auch die Familie Wickenburg dort einquartiert bis 1837 ihr eigenes Haus, die „Villa Wickenburg“, in Gleichenberg fertig war. Christoph Ohmeyer ließ sein Haus 1848 abbrechen und durch einen geräumigen zweistöckigen Ziegelbau ersetzen, welcher zwei Gastfamilien und mehreren Einzelpersonen Platz bot: die Villa Triestina, in einem kleinen Park gelegen. Die „Villa (Zum) Weihnachtsbaum“ (vormals „Haus Ess“), ebenfalls ein großer Bau, der für die Unterbringung von Familien samt Dienerschaft geeignet war, wurde von Johann Baptist Ess, dem Privatsekretär von Graf Wickenburg, errichtet und war später vorübergehend im Eigentum der Familie Wickenburg. Wie man auf dem Foto erkennen kann, beherbergte sie zur Zeit der Entstehung des Fotos die Schneiderei Anton Streichenwein und die Damenschuhmacherei von Alois Hofer.
Die Entstehung des Albums Ende der 1860er Jahre fällt in die Zeit, als die Fotografie zunehmend gemalte oder graphisch gestaltete Landschafts- und Stadtansichten abzulösen beginnt und schließlich ersetzt.
Der umfangreiche Bestand an Veduten von Gleichenberg im Steiermärkischen Landesarchiv, die etwas früher oder beinahe zeitgleich mit den Fotografien entstanden sind – beispielsweise von Carl Reichert, Josef Kuwasseg und Johann Passini – , legt einen Vergleich der Arbeitsweisen von Malern und Fotografen nahe und eine Analyse ihrer unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsergebnisse.
Die beiden Fotografien zeigen beispielhaft, wie Samuel Volkmann bei seiner Arbeit für das Gleichenberg-Album vorgegangen ist. Bei der Mehrzahl der Aufnahmen wählt er einen Bildausschnitt, welcher die Architektur des Gebäudes in einiger Entfernung zum Bildbetrachter erfasst und das Ambiente mit einbezieht. Dabei ist er durch topografische Vorgaben eingeschränkt und muss darauf Bedacht nehmen, dass Landschaft, Bäume und Grünflächen die Architektur nicht gänzlich verdecken und eine einigermaßen repräsentative Ansicht des Gebäudes zustande kommt.
Im Gegensatz zu gemalten und gezeichneten Veduten des 19. Jahrhunderts, in deren Tradition die Fotografien jedenfalls gesehen werden müssen, ist er, als Fotograf, auf seine Kamera und sein Objektiv angewiesen, die ihm weit weniger künstlerische Freiheiten gestatten als es bei bildenden Künstlern der Fall ist. Ein Künstler kann bei der bildlichen Umsetzung dessen, was er sieht, kreativ sein und „gestalten“. Die vorliegenden Fotografien besitzen vergleichsweise nicht den Charme der künstlerisch komponierten Veduten, sie dokumentieren vielmehr, und sie sind damit aus heutiger Sicht wichtige Belege für eine Entwicklungsphase des neuen, damals noch relativ jungen, Mediums Fotografie.
1855-1865 hatte Johann Passini (1798-1874) im Auftrag des Gleichenberger Aktienvereines eine 23 Blätter umfassende Ansichtenfolge von Gleichenberg geschaffen, ausgeführt in der Technik der Farblithographie. Es ist denkbar, dass ca. ein Jahrzehnt später erneut der Aktienverein als Auftraggeber fungierte und diesmal bei Samuel Volkmann aus Graz eine Fotoserie von Gleichenberg bestellte, als Geschenk für seinen damaligen Direktor.
Mit der Nassen Kollodiumplatte als Negativ und dem Albuminabzug als Positiv hatten die Fotografen ein Instrumentarium zur Verfügung, welches es ihnen erlaubte, an beinahe jedem Ort zu fotografieren und ihre Werke, von denen Abzüge in großer Zahl möglich waren, Interessenten zum Kauf anzubieten. Die 1860/1870er Jahre waren zugleich eine Hochzeit der Fotoalben, in denen nicht nur Porträts von Familienangehörigen, sondern auch solche von berühmten Persönlichkeiten und topografische Ansichten gesammelt wurden. Das vorherrschende Format dieser Sammelbilder war das Visit(karten)format.
Von Samuel Volkmann weiß man, dass er Anfang der 1860er Jahre in Graz ein Fotoatelier eröffnet hat, das in den 1860er Jahren auch den Namen „Photographie Parisienne von S. Volkmann“ trägt und unter mehreren Adressen bzw. Straßennamen aufscheint: Mur-Quai 444 (1860er Jahre, zugleich auch Neuthorgasse 444 bzw. 1868-1870 Strassoldo-Quai 444), Neuthorgasse 32 (1870), Fischmarkt 3 (1871), alle Adressen derselbe Standort, sowie später Hafnergasse 4 (1870er Jahre). Das Atelier unterhält in Marburg an der Drau in „Stichls Gartensalon“ eine Filiale, wird in den 1870er Jahren in Partnerschaft mit Michael Zanutto geführt und beschäftigt mehrere namentlich bekannte Fotografen und Fotografinnen. Von Samuel Volkmann bzw. von seinem (Nachfolge)Atelier, das bis in die frühen 1880er Jahre existiert, sind zahlreiche Porträtaufnahmen bekannt, aber auch Ansichten von Graz, andere topografische Ansichten und Landschaften sowie Reproduktionen von Kunstwerken.
Die im Gleichenberg-Album enthaltenen Fotografien sind zwischen 1868 (oder knapp davor) und 1870 entstanden bzw. kopiert worden. Ihre Datierung stützt sich auf drei Anhaltspunkte: zum einen enthält das Album zwei Aufnahmen, die auf Grund der baulichen Situation vor Ort vor 1870 entstanden sein müssen, zum anderen ist die Adressenangabe „Graz Strassoldoquai 444“ auf der Rückseite der Fotografien ein Hinweis auf die Jahre 1868 bis 1870 und als drittes Indiz kann die Tatsache gesehen werden, dass der Empfänger des Albums, Carl Ohmeyer, 1870 sein zehnjähriges Jubiläum als Direktor des Gleichenberger Johannisbrunnen Actien-Vereines gefeiert hat.
Im Zuge der Arbeiten an dem Ohmeyer-Album von Gleichenberg, das 2010 in die Sammlung des Landesarchivs gekommen ist, hat das Archiv Kenntnis von einem weiteren Volkmann-Album mit Fotografien von Gleichenberg erhalten. Das etwas kleinere Album, das sich in einer Privatsammlung in Bad Gleichenberg befindet, enthält zwölf Aufnahmen, alle sind mit den entsprechenden Fotografien im Ohmeyer-Album identisch. Auf Grund dieser Abzüge, die im Gegensatz zu jenen im Album im Landesarchiv nicht in den Albumseiten fixiert sind, war es möglich, die Rückseiten der Fotos zu sehen und anhand der Adressen-Angabe einen Datierungshinweis zu bekommen.
1 vgl. dazu die Fotografie des Monats Mai 2012 „Fotografien im Visit(karten)format: Porträts, Sammelbilder, Rückseiten“