Heinrich Reichert (1801–1893), Graz und Wien
Graz, Triumphbogen in der Annenstraße, errichtet für den Besuch von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth in Graz, September 1856
Salzpapier, 28,3 x 37,4 cm, nicht kaschiert, Rückseite Stempel Archiv des Joanneums Graz und bezeichnet „Photogr. von Reichert, zum Einzuge Ihrer Majestäten September 56“
Historische-Bildersammlung-W-VII-96

Im September 1856 besuchte Kaiser Franz Joseph I. mit seiner jungen Gemahlin Elisabeth die Steiermark und Kärnten. Die Reise, die von 2. bis 14. September dauerte, führte das Kaiserpaar „im allerhöchsten Reisezug“ (zit.) über den Semmering durch das Mürztal und das Obere Murtal nach Kärnten, weiter bis Heiligenblut und zum Großglockner.
Auf der Rückreise nach Wien verbrachten der Kaiser und die Kaiserin drei Tage in Graz, wo sie am 11. September um 2 Uhr 5 Minuten auf dem Bahnhof eintrafen und vom Statthalter der Steiermark, Michael Graf Strassoldo, und vom Bürgermeister der Stadt Graz, Dr. Johann Edler von Ulm, empfangen wurden.

Wie alle Stationen, an denen das Kaiserpaar während seiner umjubelten Reise Halt gemacht hatte, hatte auch „Graz, die schöne Hauptstadt der grünen Steiermark, [hatte] alles aufgeboten, den so freudig erwarteten Besuch des Allerhöchsten Kaiserhauses würdig zu feiern. Eine via triumphalis zog sich von der mit Eisenbahnrequisiten, Blumenwappen und Fahnen wie mit den Büsten Ihrer Majestäten reich geschmückten Bahnhofshalle zwischen den zwei großen Pyramiden des landwirtschaftlichen Versuchshofes […] zu dem ersten, am äußeren Ende der Annenstraße von der Gemeinde in antikem Stile erbauten Triumphbogen, die in eine grüne farbenprächtige Festhalle verwandelte Annenstraße und den Murplatz hin bis zu der im Fahnenschmuck prangenden Kettenbrücke […], von wo aus sich ein herrlicher Anblick auf das reich geschmückte Flußufer hinab und hinauf zum alten Schloßberg und den weiten Bergeshöhen bis zum mächtigen Schöckel darbot.“ (zit.)
Durch ein Spalier von Ehrenkompanien des k. k. Militärs und des Bürgerkorps und begleitet vom Armeekorpskommandanten Fürst Liechtenstein fuhr das Kaiserpaar in der kaiserlichen Equipage auf einem vorgegebenen reichgeschmückten Weg in die Stadt.
Nach einem Besuch der Grazer Burg in Anwesenheit von hohen Vertretern des Militärs, verschiedener Staats- und Landesbehörden, der Geistlichkeit, des akademischen Senats der Universität und anderen Honoratioren von Stadt und Land, begaben sich die Majestäten auf einer großen abendlichen Rundfahrt durch das hell erleuchtete Graz u. a. „durch eine Allee von Lampenpilastern auf der neu angelegten Zufahrt vom Burgtor zur damals neu eröffneten Elisabethstraße […]“ zu der am Anfang der Elisabethstraße anlässlich des Kaiserbesuchs errichteten, von Landesbaudirektor Kink in Anlehnung an die „Spinnerin am Kreuze“ auf dem Wienerberg entworfenen, „Elisabethsäule“.
Das Besuchsprogram des zweiten Tages beinhaltete Amtsvisiten seitens des Kaisers, Schul- und Klosterbesuche seitens der Kaiserin, ein Truppenmanöver auf dem Thalerhof, eine große Korsofahrt durch Graz mit achtzig Wagen im Gefolge des Kaiserpaares, ein Festschießen und am Abend einen Theaterbesuch im Schauspielhaus mit einem abschließenden Fackelzug.
Tag drei des Besuches war der Besichtigung von Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen durch den Kaiser und Privataudienzen gewidmet, während die Kaiserin die Domkirche und wohltätige Einrichtungen besuchte. Am Nachmittag zeigte sich das Kaiserpaar auf dem anlässlich ihres Besuches für die Bevölkerung veranstalteten großen Volksfest auf dem Glacis. Am Abend fand als Abschluss des Besuches im Redoutensaal des ständischen Theaters ein Bal paré statt, an dem das Kaiserpaar teilnahm. Am 14. September, um 7 Uhr in der Früh, traten Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth über das Mur- und Mürztal die Heimreise nach Wien an, wobei der Kaiser noch einen Abstecher zum Brandhof unternahm, während die Kaiserin direkt nach Wien zurück fuhr.

Die vorgestellte Fotografie des in der Reisebeschreibung erwähnten Triumphbogens in der Annenstraße von Heinrich Reichert ist der einzige bekannte bildliche Beleg für den Kaiserbesuch im Jahr 1856.
Der fahnengeschmückte Bogen mit der Inschrift „Dem hohen Kaiserpaare. Die beglückte Hauptstadt Steiermark‘s“ war auf Höhe der Häuser Annenstraße Nr. 60 (links im Bild) und Annenstraße Nr. 61 (rechts) errichtet worden. Er zeigt oberhalb der Bogenöffnung das Wappen von Graz und zwölf weitere Stadtwappen, zwischen den Halbsäulen rechts und links der Durchfahrt auf ornamentierten Tafeln die Worte „Liebe“ und „Treue“ und als Bekrönung der Architektur eine Posaune spielende Ruhmesgöttin.

Über den Zeitpunkt der Entstehung des Fotos, d.h. ob vor oder nach dem Besuch, ist nichts bekannt. Sowohl die Berichte in der Grazer Zeitung, die in mehreren Ausgaben sehr detailliert über den Besuch informierte, als auch die Reiseschilderungen in der Broschüre „Zur Fünfzigjahres-Erinnerung an die Reise Ihrer Majestäten Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth von Österreich durch Kärnten und die Steiermark im September 1856“ von Thomas Christian Arbeiter aus dem Jahr 1906 zeigen, wie groß seitens der Gastgeber und der Bevölkerung das Interesse an diesem kaiserlichen Besuch war und mit welch enormem Aufwand die Vorbereitungsarbeiten und die Durchführung des Besuchsprogrammes von statten gingen.
1856, 17 Jahre nach ihrer Erfindung, war die Fotografie technisch noch nicht so ausgereift bzw. es war noch nicht üblich, das neue Medium für die „Live“-Berichterstattung über ein so wichtiges Ereignis wie einen Kaiserbesuch einzusetzen.
Reicherts Aufnahme ist keine Aufnahme von einem historischen Ereignis, sondern eine topografische Dokumentationsaufnahme, wenngleich aus aktuellem Anlass entstanden.
Heinrich Reichert, 1801 in Füssen in Bayern geboren, zählt zur ersten Generation Fotografen in Graz. Er war ursprünglich Historienmaler und Lithograph, ab 1834 lebt und arbeitet er abwechselnd in Wien und in Graz, wo er 1842 erstmals im „Gasthof zum Wilden Mann“ in der Schmiedgasse seine Dienste als Wanderdaguerreotypist anbietet. Später betreibt er Fotoateliers in der Schörgelgasse, in der Strauchergasse und in der Stempfergasse.
Von ihm stammt vermutlich eine sechs Aufnahmen umfassende Fotoserie von Gebäudeteilen der Grazer Burg, die 1853/54 demoliert worden sind. Eine dieser Aufnahmen, die sich in der Sammlung des Steiermärkischen Landesarchivs befinden, wird zu einem späteren Zeitpunkt als „Fotografie des Monats“ präsentiert werden.

Zitate aus: Thomas Christian Arbeiter, Zur Fünfzigjahres-Erinnerung an die Reise Ihrer Majestäten Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth von Österreich durch Kärnten und die Steiermark im September 1856, Graz 1906

DIE FOTOGRAFIE DES MONATS | Nr. 07
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