Auftragsbuch des Fotoateliers Leopold Bude (1840-1907), Graz
Band 23 (Porträtaufträge vom 27. Februar bis
31. September 1879), mit handschriftlichen Eintragungen und eingeklebten Fotografien auf Albuminpapier
Papier, Karton, Leinenbindung, 44,5 x 18,5 cm
Archiv Bude, Bude-K11-H23

Leopold Bude, Graz
Brustbild Fritz Purgleitner, 1879
Beispiel für einen ausgearbeiteten Porträtauftrag, verzeichnet und mit Foto belegt im hier beschriebenen „Kopfbuch“ Nr. 23, 24. Juli 1879
Visitformat, 10,5 x 6,3 cm (Karton)
Porträtsammlung, PS Purgleitner Fritz

Leopold Bude, geboren am 13. November 1840 (ein Jahr nach der „Erfindung“ der Fotografie) in Wien, studierte zunächst Chemie am k. k. Polytechnischen Institut. Über dessen Bibliothekar Anton Georg Martin, einen Pionier der Fotografie in Österreich, dürfte er erstmals mit dem neuen Medium Fotografie in Berührung gekommen sein. Er arbeitete danach als Fotograf in Ateliers in Wien und Budapest und eröffnete am 18. Mai 1862 in der Salzamtsgasse in Graz sein erstes Fotoatelier. 1873 übersiedelte er Wohnung und Atelier in das Haus Alleegasse 6 (heute Girardigasse), 1885 kaufte er zur Erweiterung seines Betriebes das Nachbarhaus Alleegasse 8. Er führte das Atelier bis zu seinem Tod im Jahr 1907, danach übernahm seine Frau Anna, die bereits vorher im Geschäft mitgearbeitet hatte, die Führung, bis zu ihrem Tod 1913.
Bude war rasch zum renommiertesten Fotografen seiner Zeit in Graz avanciert, wobei er nicht nur als Porträtfotograf sehr erfolgreich war, sondern auch zum Foto-Dokumentator der gründerzeitlichen Stadterneuerung und Stadtveränderung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Graz wurde.
Auf diese zweite wichtige Rolle von Leopold Bude wird zu einem späteren Zeitpunkt in einer weiteren Fotografie des Monats noch zurückzukommen sein.
Aus Budes fotografischem Nachlass, von dem sich ein großer Teil im Steiermärkischen Landesarchiv befindet (inklusive seines Nachlassaktes, der eine Inventur des Vermögens und eine detaillierte Beschreibung der Räumlichkeiten von Atelier und Wohnung beinhaltet), haben sich 25 Auftragsbücher (von Bude selbst „Kopfbücher“ genannt) erhalten, die aus den Jahren 1863 bis 1881 stammen. Der Verbleib der restlichen Bücher ist unbekannt.
Zusammen mit einer Vielzahl von Porträtaufnahmen, die sich in öffentlichen Archiven und in nahezu jeder privaten Sammlung von Familienfotos in Graz bzw. in der Steiermark finden, ergeben diese Auftragsbücher ein eindrucksvolles geschlossenes Bild von Budes Tätigkeit als Porträtfotograf in seinen ersten 18 Jahren in Graz.
Leopold Budes Arbeit kann stellvertretend für die Arbeit eines professionellen Fotografen dieser Zeit angesehen werden. Die Zeitspanne von ca. 1860 bis 1880, vor allem die 1860er und 1870er Jahre, ist eine „Hoch-Zeit“ der Porträtfotografie. Die relativ rasche technische Entwicklung der Fotografie und die Erfindung eines Standardformates, des sog. „Visit(karten)-Formates“, brachten eine Reduzierung der anfangs enorm hohen Kosten für ein Porträtfoto mit sich und so wurde es erstmals in der Geschichte für weite Kreise der Bevölkerung möglich, sich porträtieren zu lassen.

Die inhaltliche Analyse der Auftragsbücher ist nicht nur fotohistorisch von Interesse.
Die registerartig geführten Aufzeichnungen enthalten neben Datum, Auftragsnummer und Liefertermin den Namen und (meist) den Wohnort der Kunden bzw. Kundinnen, nicht selten auch Titel, Funktionen, Ränge und Berufsbezeichnungen, sowie Angaben zu Größe, Anzahl und Preis der bestellten Fotografien. Bei fast allen Aufträgen ist ein Abzug des hergestellten Fotos eingeklebt, zugeschnitten auf die Größe der dafür vorgesehenen Spalte.
Diese Kombination von Informationen zum Auftraggeber und zur Bestellung mit dem Ergebnis des Auftrages, d.h. mit dem Foto selbst, macht die Besonderheit und den Wert der Auftragsbücher aus. Dazu kommt die Menge des Materials: 49.839 Aufträge sind über eine Zeitspanne von 18 Jahren in den 25 Büchern verzeichnet und mit Foto dokumentiert und das in einer lückenlosen chronologischen Abfolge.
Dieser „Porträtkatalog von 50.000 Personen“ ist Quellen- und Anschauungsmaterial in vielerlei Hinsicht. Man gewinnt Einblick in die Arbeitsweise des Fotografen, erfährt etwas über das Arrangieren von Aufnahmen, über diesbezügliche Vorlieben, Moden, stereotype Darstellungsweisen, und Veränderungen. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die Entwicklung vom Ganzfigurenporträt, meist in einem gestalteten Atelier-Ambiente, das in den 1860er vorherrschend war, zum Brustbild ohne jegliche Staffage in den 1870er und 1880er Jahren anhand dieses Bildmaterials nachvollziehbar.
Angaben zu Formaten und Preisen der gelieferten Fotografien und zu Atelieröffnungszeiten und Lieferzeiten informieren darüber hinaus über praktische Dinge und lassen interessante Schlüsse zu, wie etwa die Feststellungen, dass die Preise keine Fixpreise waren und die Kosten für die Herstellung eines Porträtfotos, verglichen mit den Kosten für Anschaffungen des täglichen Lebens, immer noch relativ hoch und dass ein Fotoatelier in der damaligen Zeit auch am Sonntag geöffnet war.
Fotogeschichtlich und sozialgeschichtlich interessant ist die Analyse der Klientel, die in das Atelier Bude kam, um sich porträtieren zu lassen. Die Kundschaft war, sozial gesehen, eine weitgestreute. Man begegnet Angehörigen des österreichischen Herrscherhauses, der Hocharistokratie und Aristokratie, Vertretern des gehobenen und kleinen Bürgertums, Arbeitern und Bauern, darunter vielen bekannten Namen aus Politik, Verwaltung, Klerus, Kunst und Kultur. Die Kunden kamen nicht nur aus Graz und der Steiermark, sondern aus Wien, der ehem. Untersteiermark, aus Kroatien und Ungarn. Man lernt die Stationen im Leben eines Menschen kennen, die ihn dazu bewegten, zum Fotografen zu gehen. Dabei gibt es Beispiele dafür, dass ein und dieselbe Person im Laufe ihres Lebens mehrmals in das Atelier Bude gekommen ist. Für Sozialhistoriker, Volkskundler, Kostümhistoriker und Militärhistoriker bietet sich die Gelegenheit, Modetrends und Veränderungen in Ausstattung, Kleidung, Frisur, Schmuck und bei Accessoires zu verfolgen.
Letztendlich gewinnt der Betrachter von heute einen Eindruck von der Physiognomie der Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – er taucht ein in ein Stimmungsbild einer vergangenen Epoche.

DIE FOTOGRAFIE DES MONATS | Nr. 08
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