Von Leopold Budes (1840-1907)1 fotografischem Œuvre haben sich unter anderem 442 Stadtaufnahmen von Graz erhalten, die zwischen 1872 und 1912 entstanden sind. Es sind Glasplattennegative verschiedener Formate, großformatige Originalabzüge, von denen teilweise die Glasplattennegative erhalten sind, Fotos in Postkartenformat sowie Glasplattendiapositive. Die Ansichten liegen in öffentlichen Sammlungen in Graz (Steiermärkisches Landesarchiv, Universalmuseum Joanneum / Multimediale Sammlungen, Stadtmuseum Graz und Karl-Franzens-Universität / Institut für Kunstgeschichte). Einige zusätzliche Aufnahmen befinden sich in zwei Grazer Privatsammlungen.

Das Steiermärkische Landesarchiv beherbergt in seiner Ortsbilder- bzw. Ansichtskartensammlung 53 Großformate und 214 Ansichtskarten von Graz, die von Bude stammen, darüber hinaus topografische Fotografien, die er in der Steiermark aufgenommen hat.

Die erhaltenen, 1993 in Vorbereitung einer Publikation über Leopold Bude2 in ihrer Gesamtheit recherchierten, Graz-Aufnahmen sind als Teil einer ursprünglich noch umfangreicheren Dokumentation anzusehen, von der ein im Stadtmuseum Graz befindliches, von Bude selbst handschriftlich angelegtes, Verzeichnis eine genauere Vorstellung gibt. Der überwiegende Teil der dort angeführten Aufnahmen sind solche des Grazer Stadtbildes, vermehrt entstanden ab der Mitte der 1880er Jahre, aber auch von Innenräumen, Fabriks- und Industrieanlagen, von Privathäusern und Grabdenkmälern.
Bude war auch in der Steiermark tätig, wo er Kirchen und Schlösser, häufig auch Interieurs, fotografiert hat.

Wenngleich es keinen eindeutigen Nachweis dafür gibt, scheint es doch aufgrund verschiedener Indizien und Anhaltspunkte nahezu sicher zu sein, dass Leopold Bude die Graz-Dokumentation im Auftrag der Stadt erstellt hat. So hat es seitens des Historischen Vereins für Steiermark 1886 eine an die Adresse des damaligen Grazer Bürgermeisters Dr. Ferdinand Portugall gerichtete Initiative gegeben, die darauf abzielte, dass „in Erwägung der rasch fortschreitenden Bauentwicklung der Stadt Graz […] seit Jahrhunderten unverändert gebliebene Bauten und Häusergruppen […] durch Grundrisse oder Photographien […] dem Gedächtnisse der Nachwelt erhalten werden“3 sollten. Bürgermeister Portugall hat daraufhin das städtische Bauamt mit der Angelegenheit betraut und spricht in diesem Zusammenhang von Fotografien, die die Gemeinde selbst kaufen müsste. Budes Name wird zwar nicht genannt, allerdings hat dieser die in der erwähnten Debatte konkret angesprochenen, zum Abbruch bestimmten, Häuser und Häusergruppen in der Herrengasse tatsächlich in der fraglichen Zeit in mehreren Aufnahmen, dokumentiert.

Leopold Budes Aufnahmen von Graz geben jene Bereiche der Innenstadt aber auch der Außenbezirke wieder, in denen sich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts tiefgreifende städtebauliche Veränderungen vollzogen haben. Ihm kommt soz. die Rolle eines „Illustrators mit der Kamera“ der gründerzeitlichen Bautätigkeit in Graz zu. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Erfassen des Zustandes vor der Veränderung. Dies war auch die Idee, welche vom möglichen Initiator der Dokumentation, dem Historischen Verein für Steiermark, ausgegangen ist. Bisweilen gibt es auch Aufnahmen vor und nach einer Veränderung und dokumentiert werden auch repräsentative historistische Neubauten.
Auffallend ist die große Anzahl jener Aufnahmen, die in den damals noch ländlichen Außenbezirken von Graz gemacht wurden, wo ganze Viertel der gründerzeitlichen Stadterweiterung zum Opfer gefallen sind. Dort handelt es sich keineswegs um architekturgeschichtlich bedeutende Bauwerke, sondern man hat offenbar den kultur- und sozialhistorischen Wert dieser Häuser erkannt und auch sie, indem man sie in die Fotodokumentation mit einbezogen hat, „dem Gedächtnisse der Nachwelt erhalten“.4
Die vorgestellten Fotografien zeigen zweimal das Haus Sackstraße 1, Ecke Murgasse, das sog. „Kleinoscheg-Haus“, benannt nach seinem damaligen Besitzer Johann Kleinoscheg (1818-1896, Mitbegründer der Wein- und Champagnerfabrik Kleinoscheg in Graz).
Der erste Bau – Foto links, 1875 datiert – wurde im Zusammenhang mit der geplanten Errichtung der Pferdetramway im Juni 1875 abgebrochen und innerhalb kürzester Zeit 1875/76 durch einen Neubau – Foto rechts, 1880 datiert – ersetzt. Auf dem linken Foto sieht man rechts im Bild die barocke Dreifaltigkeitssäule, die 1875 ebenfalls entfernt und 1876 auf dem Karmeliterplatz wieder aufgestellt wurde, wo sie heute noch steht.
Auf dem rechten Foto wird deutlich, dass das sog. „Neue Kleinoscheg-Haus“ gegenüber seinem Vorgängerbau in Bauvolumen und Erscheinungsbild verändert worden ist. Sowohl sackstraßen- als auch murgassenseitig wurden die Fassaden um jeweils eine Fensterachse reduziert und durch eine einachsige Eckabschrägung miteinander verbunden. Diese Aufnahme ist laut erwähntem handschriftlichen Verzeichnis von Bude 1877 entstanden, der Originalabzug trägt allerdings die Datierung 1880.
Budes Fotos, beide aufgenommen von ein und demselben erhöhten Standpunkt schräg vis à vis am Anfang der Sporgasse, Ecke Hauptplatz, geben die Gebäude und ihr unmittelbares Ambiente in einer beeindruckenden Monumentalität wieder. Wie so oft auf Stadtbildfotografien des 19. Jahrhunderts kann man auf beiden Aufnahmen, vor allem auf dem Foto rechts, Personen erkennen, die sich während der Aufnahme im Bild bewegt haben, aber aufgrund der langen Belichtungszeit nur schemenhaft zu erkennen sind.

Die Fotos sind Beispiele für eine innerhalb der Graz-Aufnahmen von Leopold Bude nicht allzu häufig anzutreffende Dokumentation der Situationen sowohl vor als auch unmittelbar nach einer (städte)baulichen Veränderung.
Zur Art und Weise, wie Bude bei seinen topografischen Aufnahmen gearbeitet hat, ist zu sagen, dass sich sein Blick und in der Folge sein Aufnahmestil über die annähernd 30 Jahre, über die sich die Dokumentation erstreckt, nicht wesentlich verändert hat.

Was die Einbindung von Menschen in die Fotografien betrifft, so gibt es reine Architektur- bzw. Stadtbildaufnahmen, in denen es Bude offenbar um den unverfälschten Dokumentationscharakter der Aufnahme geht und es gibt Aufnahmen, wo er Menschen als Staffagefiguren benützt, d.h. sie gezielt ins Bild stellt, wie es scheint, um Stimmung zu erzeugen. Vorzugsweise bei Aufnahmen von zum Abbruch bestimmten Häusern in den Vorstadtbezirken (solche Fotos tragen häufig das Abbruchdatum der Gebäude) postiert er im Vordergrund der Bilder Personengruppen, was den Aufnahmen eine gewisse Dramatik und zugleich Melancholie verleiht.

1      vgl. auch die Fotografie des Monats Jänner 2012

2      Armgard Schiffer-Ekhart und Barbara Schaukal, Graz zur Gründerzeit, Leopold Bude, k.k. Hof-Fotograf, Graz 1993

3, 4  Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark, XXXV, Graz 1887, S VII ff. und Handschriftliche Protokolle
        des Historischen Vereins, Band 1884-1889 (Steiermärkisches Landesarchiv, Graz)

Leopold Bude (1840-1907), Graz
Graz, Sackstraße, Ecke Murgasse, sog. „Kleinoscheg-Haus“ mit Pestsäule, 1875
Albuminpapier, bezeichnet links unten „1875 phot. Bude Graz“, 29,4 x 24,8 cm (Karton 30 x 25 cm)Ortsbildersammlung, OBS-Graz-II-E-2-A-010
Leopold Bude (1840-1907), Graz
Graz, Sackstraße, Ecke Murgasse, sog. „Neues Kleinoscheg-Haus“, 1877 (1880)
Albuminpapier, bezeichnet links unten „1880 photogr. Bude Graz“, 28,6 x 23,9 cm (Karton 29 x 24,5 cm)
Ortsbildersammlung, OBS-Graz-II-E-1-009
DIE FOTOGRAFIE DES MONATS | Nr. 13
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