Maximilian von Karnitschnigg (1872–1940), Graz
Album Städtisches Gas- und Elektrizitätswerk Graz, vor 1933
„Alte Kokssturzbrücke“ (handschriftlich bezeichnet und signiert, 16,7 x 22,7 cm)
Album Titelseite: „Ihrem Prokuristen, Herrn Bürgermeister Vinzenz Muchitsch, der als erster Volksbürgermeister der Landeshauptstadt Graz die Übernahme des Gas- und Elektrizitätswerkes in den Besitz der Gemeinde und den Ausbau dieses Werkes durchführte, von Direktion, Angestellten und Arbeitern Graz in dankbarer Wertschätzung zur Vollendung des 60. Lebensjahres gewidmet. Graz, im Februar 1933“
Album mit 20 Fotografien, jeweils handschriftlich bezeichnet und signiert, Abzüge eingeklebt; Gelatine Entwicklungspapier; Einband grünes strukturiertes Papier, Grazer Stadtwappen in Weißprägung, Kordelbindung, 25,8 x 36 cm
StLA, A. Muchitsch Vinzenz Nachlass K-1-H-6
Aus Anlass seines 60. Geburtstages im Februar 1933 erhielt der damalige Grazer Bürgermeister Vinzenz Muchitsch (1873-1942) von Direktion und Belegschaft des Städtischen Gas- und Elektrizitätswerkes ein Fotoalbum zum Geschenk, das sich in seinem Nachlass im Steiermärkischen Landesarchiv befindet. Muchitsch war von 1919 bis 1934 sozialdemokratischer Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz.
Aufgrund auslaufender Verträge und von Muchitsch maßgeblich unterstützt, wurde 1921 das 1845 von der Germanischen Gesellschaft für Gasbeleuchtung in Graz errichtete Gaswerk, das 1873 von der Wiener Gasindustriegesellschaft weitergeführt worden war und dem Mitte der 1890er Jahren eine elektrische Zentrale mit einem Dampfkraftwerk angeschlossen wurde, von der Stadtgemeinde Graz übernommen und von da an von dieser in Eigenregie betrieben. Muchitsch erwarb sich große Verdienste um die Erweiterung und Modernisierung des Werkes wie überhaupt um die Energieversorgung von Graz, vor allem den Ausbau der Elektrizität. In seiner Funktion als Bürgermeister stand er von 1921 bis 1934 der 1921 gegründeten STEWEAG, der Steirischen Wasserkraft- und Elektrizitäts-AG, an der die Stadt Graz beteiligt war und der auch das Gas- und Elektrizitätswerk angehörte, als Einzelprokurist vor.
Das Album, aus dem die aktuelle Fotografie des Monats stammt, enthält mehrheitlich Aufnahmen des Städtischen Gas- und Elektrizitätswerkes, das sich auf der sog. „Kühtratte“ im Grazer Bezirk Jakomini im Bereich Steyrergasse, Schönaugasse, Schönaugürtel und Jakoministraße (heute Conrad-von-Hötzendorfstraße) befand. Einige Aufnahmen wurden an anderen Plätzen in der Stadt gemacht, an Plätzen, die mit dem Werk in Zusammenhang stehen. So zeigt z.B. das Eingangsfoto einen Blick vom 1933 bezogenen neuen Verwaltungsgebäude in der Neutorgasse Ecke Fischplatz (heute Andreas-Hofer-Platz) in Richtung Norden, d.h. in Richtung Franziskanerkirche und Schlossberg mit Uhrturm. Das neue Gebäude selbst, ein 1928-1931 von Rambald von Steinbüchel-Rheinwald errichteter spektakulärer moderner Bau, der in Graz großes Aufsehen erregte, wird in dem Album nicht vorgestellt. Auf dem folgenden Foto ist hingegen das alte Verwaltungsgebäude in der Steyrergasse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zu sehen. Der thematische Schwerpunkt des Albums liegt auf den Gebäuden und technischen Details des Gaswerkes, wobei sowohl ältere Teile gezeigt werden als auch Teile der ab 1928 um über 2 Millionen Schilling neu errichteten Anlagen: die neue Ofenanlage, eine Koksaufbereitungsanlage, ein neuer Kohlenkran etc.
Autor der Fotos ist ein prominenter Grazer Fotograf der 1920er und 1930er Jahre, nämlich Maximilian von Karnitschnigg (1872-1940). Karnitschnigg interessierte sich schon während seiner Gymnasialzeit für die Fotografie und diese begleitete ihn sein Leben lang. Nach Absolvierung der Militärakademie in Wiener Neustadt wurde er k. u. k. Berufsoffizier. Den Ersten Weltkrieg erlebte er an der russischen Front, wo er 1915/1916 ein umfangreiches fotografisches Tagebuch verfasste, sowie in Budapest. Nach dem Krieg kehrte er nach Graz zurück und trat 1924 als Generalmajor i. R. in den Verwaltungsdienst der Steiermärkischen Landesregierung ein, aus dem er bei seiner Pensionierung im Rang eines Hofrats ausschied.
Sein fotografischer Werdegang ist charakteristisch für die Situation der Fotografie in Graz in der Zwischenkriegszeit. 1924 war, nach einer kriegsbedingten Unterbrechung, von Dr. Hugo Haluschka (1880-1951) die 1909 ebenfalls von ihm gegründete „Kunstphotographische Vereinigung in Graz“ wieder neu ins Leben gerufen worden. Karnitschnigg trat ihr bei und wurde unter Hugo Haluschka als Präsidenten ihr langjähriger Vizepräsident.
Die Vereinigung vertrat strikt die Position der Kunstfotografen, die eine Abgrenzung von jeglicher kommerziell orientierter Fotografie propagierten und sich inhaltlich, technisch und formal auch von der Arbeit jener Amateure unterschieden, welche die Fotografie nur zu Dokumentationszwecken nutzten. Ihr Anliegen war die Anerkennung der Fotografie als Kunst, erzielbar durch eine „bildmäßige Fotografie“, welche dem nach künstlerischen Gesichtspunkten ausgewählten Bildausschnitt eine entscheidende Bedeutung beimisst und eine aufwändige technische Intervention bei der Herstellung des Abzuges notwendig macht, sog. „Edeldrucke“.
Karnitschniggs fotografische Arbeiten der 1920er Jahre sind von dieser Auffassung geprägt und diese Auffassung vertritt er auch in zahlreichen Texten zu Theorie und Praxis der Fotografie, die er in Zeitschriften und Büchern publizierte. In seinen Fotokursen lehrte er die Ästhetik der bildmäßigen Fotografie und den praktischen Umgang mit kunstfotografischen Drucktechniken, vor allem mit dem von ihm bevorzugten Bromöldruck und Bromölumdruck. Ab Mitte der 1920er Jahre präsentierte er seine Arbeiten in nationalen und internationalen Ausstellungen und bei Fotowettbewerben.
Im Gegensatz zu Hugo Haluschka, der zeit seines Lebens formal und inhaltlich an seiner Sicht von künstlerischer Fotografie festhielt, tritt bei Maximilian von Karnitschnigg Ende der 1920er Jahre in gewisser Weise ein Stilwandel ein, der sich anhand des vorgestellten Albums demonstrieren lässt, obwohl in den Arbeiten des Albums Karnitschniggs kunstfotografischer Blick unverkennbar ist.
In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre war auch in Graz eine international wirksame neue Strömung in der Fotografie nicht ohne Folgen geblieben, nämlich das sog. „Neue Sehen“ oder die sog. „Straight Photography“.
Dieses neue Sehen wandte sich gegen den Piktorialismus in der fotografischen Arbeit und stellte den dokumentarischen Charakter der Fotografie in den Vordergrund. Aus einem neuen, objektiveren und nüchterneren, Blick auf die Dinge entwickelte sich eine neue Bildsprache, diese Dinge wiederzugeben, und man orientierte sich an den Möglichkeiten, welche die fotografische Technik an sich zu bieten hat. So wurden Detailtreue, Schärfe, natürliche Tonwerte und natürliches Licht zu entscheidenden Gestaltungselementen. Ein Manipulieren der Positive war verpönt. Dazu kamen neue Kameraperspektiven, die extreme Unter- und Aufsichten zum Ergebnis hatten. Auch die Thematik der Fotografie wurde um zeitgemäße Sujets erweitert, wie z.B. die Industriefotografie. Sie kommt dem Bestreben, die Gegenstände in ihrer Form und Struktur zu sehen und wiederzugeben, entgegen.
Es ist anzunehmen, dass Karnitschniggs Aufnahmen des Gas- und Elektrizitätswerkes eine Auftragsarbeit für die Stadt Graz waren. 1930 hatte er das fotografische Gewerbe in Graz angemeldet und war vermehrt für die Stadt, aber auch für andere Auftraggeber, tätig. 1935 erschien anlässlich des 90jährigen Bestandes des Gaswerkes Graz eine von der Stadt Graz herausgegebene Broschüre, die mit Fotografien von Maximilan Karnitschnigg illustriert ist. Die dort wiedergegebenen Fotos von den Werksanlagen decken sich teilweise mit den Aufnahmen im Muchitsch-Album, dürften also aus einer Serie stammen. In diesen „technischen“ Aufnahmen, die sich formal von Karnitschniggs bekannten klassischen Aufnahmen von Graz und den Sehenswürdigkeiten der Stadt unterscheiden, kann man in Ansätzen die Bildsprache der neusachlichen Fotografie erkennen.
Fototechnisch gesehen verlässt Karnitschnigg in diesen Jahren immer mehr die kunstfotografische Arbeit mit Edeldrucken und wendet sich dem inzwischen standardisierten und von den Berufsfotografen verwendeten Gelatine-Entwicklungsverfahren zu.
Allerdings war es Karnitschnigg in dem vorgestellten Album wichtig, jede einzelne Fotografie, soz. in „alter kunstfotografischer Tradition“ handschriftlich mit einem Titel und seiner Signatur zu versehen.
In der Sammlung des Steiermärkischen Landesarchivs gibt es neben dem vorgestellten Album von Maximilian von Karnitschnigg noch eine zweite fotografische Dokumentation des Städtischen Gas- und Elektrizitätswerkes, die etwa zeitgleich entstanden ist, nämlich eine Mappe mit 20 Aufnahmen des Grazer Amateurfotografen Luis Thurnwald (18893-1975). Thurnwald, ebenfalls Mitglied der Grazer Kunstphotographischen Vereinigung, arbeitete auch vorzugsweise mit Edeldruckverfahren. Im Gegensatz zu Karnitschnigg hat er seine Aufnahmen von den Werksanlagen des Gas- und Elektrizitätswerkes im zweifachen (Brom) Ölumdruck umgesetzt.