Anonym
Josef Wartinger (1773-1861), steiermärkisch ständischer Registrator und Landschafts- und Joanneumsarchivar, um 1850
Daguerreotypie, koloriert, 7,5 x 5,7 cm (Bild), 12,6 x 9,7 cm (Montierung Samt)
StLA-PS-allgemein-Wartinger Josef
„Lichtbilder (Daguerreotyp) werden verfertigt in der Schörgelgasse Nr. 466 im Weitenheller’schen Hause. Portrait in sechs Secunden zu 3 fl. CM sammt Glas und Rahmen. Besondere Vorzüge dieser Porträte sind: die außerordentliche Schnelligkeit, eine auf keine andere Art erreichte Aehnlichkeit, verbunden mit einer Ausführung, in welcher die Kleidungen und umgebenden Gegenstände bis in die kleinsten Details mit einer bis jetzt nicht gekannten Genauigkeit und Zartheit wahrhaft Staunen erregend wiedergegeben sind. Endlich kann eine jahrelange Einwirkung der Sonnenstrahlen weder die Reinheit noch den Glanz, noch die Harmonie der einmahl hervorgebrachten und befestigten Bilder trüben, noch zerstören. Musterbilder sind zur gütigen Einsicht in mehreren Kunsthandlungen ausgestellt. Heinrich Reichert, Mahler.“
Dieses die Vorzüge der Daguerreotypie kurz in Worte fassende Inserat des Malers, Lithographen und Photographen Heinrich Reichert (Füssen 1801–Wien 1893) erschien in der Grätzer Zeitung vom 21. Juli 1842. Es reiht sich ein in eine dichte Folge von Artikeln, Rezensionen und Anzeigen, die seit Anfang des Jahres 1839, also schon vor der offiziellen Präsentation der Daguerreotypie am 19. August 1839 in Paris, in der Grätzer Zeitung abgedruckt werden und sich ausführlich und stets auf dem neuesten Stand mit der „Erfindung des Herrn Daguerre“ (Titel eines Artikels in der Grätzer Zeitung vom Februar 1839, übernommen aus der Wiener Zeitung) und der weiteren Entwicklung beschäftigen.
Die Daguerreotypie, benannt nach ihrem Erfinder, dem Pariser Bühnenmaler und Diorama-Betreiber Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851), ist das erste praktikable fotografische Verfahren in der Geschichte der Fotografie. Basierend auf seinen Vorarbeiten mit Joseph Nicéphore Nièpce (1787–1851) gelang es Daguerre, ein in einer Kamera auf einer lichtempfindlichen versilberten Kupferplatte aufgenommenes, latent vorhandenes, (Licht)Bild zu entwickeln und zu fixieren. Daguerreotypien sind seitenverkehrte Negative mit spiegelnder Oberfläche, die in einer bestimmten Position gehalten werden müssen, damit das Bild durch das einfallende Licht als Positiv erkennbar ist. Sie sind Unikate, haben eine empfindliche Oberfläche und wurden, vergleichbar mit Miniaturen, bisweilen nachträglich per Hand koloriert, hinter Glas in verzierten Kassetten und Etuis aufbewahrt oder gerahmt. Ihre Herstellung war aufwändig und kostspielig. Auf Grund der langen Belichtungszeiten von mehreren Sekunden waren Aufnahmen von Bewegung nicht möglich. Daguerreotypien wurden für statische Aufnahmen verwendet, d.h. für Porträtaufnahmen, für Stadt- und Landschaftsbilder und für Reproduktionen.
Bei der Präsentation der Daguerreotypie im August 1839 im Institut de France in Paris war auch ein Österreicher anwesend, Andreas von Ettingshausen, Inhaber der Lehrkanzel für Physik an der Wiener Universität. Er erlernte bei Daguerre die Technik der Daguerreotypie, hat in Paris selbst Daguerreotypien hergestellt und eine Daguerre-Kamera nach Wien mitgebracht. Als Gründer und Mitglied der sog. „Fürstenhofrunde“ in Wien, einer Gruppe von Fotopionieren, war er einer der heimischen Experten und Förderer der neuen Technik.
Was die Rezeption der Erfindung der Daguerreotypie in Graz und die frühe Fotografie vor Ort betrifft, so geben die lokalen Printmedien darüber Auskunft. Ihnen sind auch die Namen jener Personen zu entnehmen, die sich für die Neuheit aus Paris interessierten, sie studierten, über sie berichtet und geschrieben, teilweise an ihrer Weiterentwicklung gearbeitet haben und sie selbst praktizierten.
Die ersten Berichte in der Grätzer Zeitung sind Übernahmen von Artikeln aus Wiener Zeitungen. Anfang August 1839 scheint erstmals Josef von Aschauer von Achenrain, Professor der angewandten Mathematik und Mechanik und Inhaber der Lehrkanzel für Mechanik am Ständischen Joanneum in Graz als Autor eines Artikels über die Daguerreotypie auf. Er ist es, der in der Folge regelmäßig und eingehend über einschlägige Themen berichtet, nicht nur über die Daguerreotypie, vor allem auch über die ersten Versuche mit der neuen Technik in Graz und über die weitere Entwicklung hier. Neben Aschauer verfasst Carl von Frankenstein (1810–1848), Inhaber einer Contact-Vergoldungsfirma in Graz, 1837–1839 Studierender am Joanneum und seit 1839 Herausgeber des Innerösterreichischen Industrie- und Gewerbeblattes zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse für alle Stände (Graz, J.A. Kienreich), Texte über Fotografie. Er ist wahrscheinlich der Autor der ersten Publikation in Österreich über die Daguerreotypie mit dem Titel „Über das Geheimnis der Daguerreotypie oder die Kunst: Lichtbilder in der Camera obscura zu erzeugen“, 1839 angeboten von Ludewig‘s Verlag in Graz. Nach dem Tod Aschauers 1843 publiziert Josef Karl Mally, Arzt und Botaniker, in den 1820er Jahren Inhaber der Lehrkanzel für Botanik am Joanneum, ebenfalls Texte über die Fotografie.
Über diese drei Personen ist die Verbindung zu Josef Wartinger gegeben, der auf der als Fotografie des Monats vorgestellten Porträt-Daguerreotypie zu sehen ist.
Josef Wartinger, geb. 1773 in St. Stefan bei Stainz, trat nach Abschluss seiner juridischen Studien am Grazer Lyceum und Anstellungen als Lehrer in Marburg und Graz 1810 als Registraturadjunkt in den Dienst der steiermärkischen Stände. 1812 wurde er zum ständischen Registrator und Archivar ernannt und leitete in dieser Funktion bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1850 das Archiv der Stände.
Daneben wurde er 1811 von Erzherzog Johann damit beauftragt, für das vom Erzherzog als Museum und Lehranstalt gegründete Joanneum landesweit für die Geschichte der Steiermark relevante Urkunden und Schriften zusammenzutragen. Dazu bereiste Wartinger seit 1814 die gesamte Steiermark, recherchierte in den Archiven der Städte, Klöster, Pfarren und Herrschaften und in Bibliotheken Dokumente und Archivalien, die in der Folge, im Original oder abschriftlich, die Bestände des seit 1813 existierenden Joanneumsarchivs, deren Grundstock die vom Erzherzog gesammelten Archivalien bildeten, ergänzen sollten. Zu dieser Doppelfunktion als Archivar kam für Josef Wartinger als dritte Aufgabe noch die Betreuung des Münz- und Antikenkabinettes des Joanneums hinzu.
Als ausgezeichneter Kenner der steirischen Geschichte publizierte Wartinger neben anderen wissenschaftlichen Arbeiten 1815 eine „Kurzgefaßte Geschichte der Steiermark“, die in allen Gymnasien der Steiermark als Lehrbuch zur Verwendung kam. Das Honorar für dieses Werk, das in mehreren Auflagen erschienen ist, brachte Wartinger in eine Stiftung ein, die silberne und bronzene Preismedaillen an die besten jener Gymnasiastinnen und Gymnasiasten verlieh, die in einer Prüfung ihre Kenntnisse in steirischer Geschichte unter Beweis stellten. Die sog. „Wartinger-Medaille“ wird noch heute, im Sinne ihres Stifters, alljährlich vom Land Steiermark an Schülerinnen und Schüler sowie im Bereich der Erwachsenenbildung für hervorragenden Leistungen in steirischer Landeskunde verliehen.
Die vorgestellte Daguerreotypie zeigt Josef Wartinger in fortgeschrittenem Alter im Dreiviertel-porträt nach rechts, auf einem Sessel sitzend, die verschränkten Hände auf die Sessellehne gelegt. Der Kopf ist dem Betrachter zugewendet. Wartinger trägt einen dunklen Gehrock mit weißem Hemd und dunkler Krawatte. Die Hautpartien sind nachträglich koloriert. Das Fenster mit den geschlossenen Balken im Hintergrund lässt darauf schließen, dass die Aufnahme im Freien entstanden ist.
Über die Entstehungsumstände des Porträts ist nichts bekannt, weder wann und wo es entstanden ist, noch wer sein Autor gewesen ist. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand kann auch nicht gesagt werden, wann und auf welchem Weg die Daguerreotypie, die einzige Porträtaufnahme in dieser Technik in der Porträtsammlung des Landesarchivs, in die Sammlung des Archivs gekommen ist. Durch die Vereinigung des Joanneumsarchivs mit dem ständischen Archiv zum Steiermärkischen Landesarchiv unter Josef von Zahn 1868 sind beide Bestände zusammengeflossen. Josef Wartinger kann, in seiner Doppelfunktion als Leiter beider Institutionen, sowohl als Joanneumsarchivar als auch als ständischer Archivar dargestellt sein, aber auch als Privatperson. In den Akten zu Josef Wartinger im Steiermärkischen Landesarchiv, die ihn als Bediensteten und als Privatmann betreffen, hat diese Porträt-Daguerreotypie, nach den bisherigen Recherchen, keinen Niederschlag gefunden.
Die Öffnung der Behausung des Bildes anlässlich der Restaurierung und Neumontierung des Objektes im Sommer 2012 hat bezüglich der Fragen nach der Autorenschaft und dem Entstehungsdatum ebenfalls keine Klärung gebracht. Das Bild, das unter einem Deckglas in einem Samtpassepartout montiert ist, war wahrscheinlich ursprünglich noch mit einem Etui ausgestattet.
Sicher ist, die Daguerreotypie ist nicht signiert und nicht datiert. Auf zwei Papierstreifen auf der Rückseite des Objekts, ursprünglich wahrscheinlich ein Streifen, der auseinandergeschnitten wurde, finden sich handschriftlich, vermutlich von ein und derselben Hand, zwei Namen, die nicht mit der Genese der Aufnahme in Verbindung gebracht werden können: „Anton Conte C [?]“ und „Burovich“. Hier bleiben also noch Fragen offen.
Der Vergleich der Porträt-Daguerreotypie mit einem Porträtfoto Josef Wartingers, das von diesem handschriftlich mit seinem Namen und der Bemerkung „Archivar“ bezeichnet wurde und etwas später zu datieren ist, weist das Bildnis jedenfalls als solches von Wartinger aus. Die Daguerreotypie dürfte um 1845 entstanden sein.
In dieser Zeit gibt es in Graz eine ganze Reihe von namentlich bekannten Daguerreotypisten, heimische und auswärtige, sog. „Wanderdaguerreotypisten“, die per Zeitungsinserat ihre Dienste als Porträtisten bzw. Fotografen anbieten. Ein Name, der in der Geschichtsschreibung der frühesten Fotografie in Österreich einen prominenten Platz einnimmt, ist der Name des Grazer Optiker-Brüderpaares Andreas (1811–1867) und Carl (1816–1887) Rospini. Die beiden machten bereits drei Monate vor der offiziellen Bekanntgabe der Daguerreotypie in Paris in Graz Versuche mit der neuen Technik.
Von Andreas und Carl Rospini haben sich neben anderen Arbeiten drei Stadtansichten von Graz aus dem Jahr 1840 erhalten, die zu den frühesten Daguerreotypien in Österreich zählen. Sie wurden, bis dahin im Besitz der Nachkommen der Fotografen, 2012 öffentlich versteigert und sind nun in einer namhaften Wiener Privatsammlung. Aufgrund des hohen, international gesehen angemessenen, Schätzpreises war es heimischen öffentlichen Stellen leider nicht möglich, diese wichtigen Dokumente früher Fotografie in Graz zu erwerben und somit für die Steiermark bzw. für Graz zu erhalten.