Josef Windisch (1895–1963), St. Pölten, Graz
Tochter Maria im Kinderwagen, Spaziergang in der Traisen-Au bei St. Pölten, 7. März 1937, bez. „Wie schön ist doch die Welt“
4,5 x 5,7 cm, Aufnahme aus einem Familienalbum mit 197 Fotografien (Mai 1936 – Juni 1939), teils eingeklebt, teils mit Fotoecken fixiert; Einzelbildnisse von und Gruppenporträts mit Maria Elisabeth Windisch, später verehelichte Donharl, als Kind und mit Verwandten; Aufnahmen vornehmlich vom Vater Josef Windisch, mit Legenden; alle Fotos Gelatine-Entwicklungspapier in unterschiedlichen Formaten; Widmung auf der Innenseite des Albumdeckels: „Unserer lieben Tochter Maria Elisabeth zum Andenken. Weihnachten 1936“; Einband aus beige Leinen, Kordelbindung; 20 x 28 cm (geschlossen);
Steiermärkisches Landesarchiv, Graz, StLA-Donharl Maria, Sammlung

Die Geburt seiner Tochter Maria am 18. April 1936 war für DI Josef Windisch (1895–1963) wohl der Anlass, mit dem Fotografieren zu beginnen. Ihr ganz persönlich hat er zwei Fotoalben zugedacht. Album 1 enthält die handschriftliche Widmung „Unserer lieben Tochter Maria Elisabeth zum Andenken. Weihnachten 1936“ und auf der Innenseite des Einbandes von Album 2 liest man „Weihnachten 1939. Der 2. Band für unsere Maria Elisabeth“. Das erste Album beginnt im April 1936 und endet im Juli 1939, das zweite beginnt im Dezember 1939 und enthält Aufnahmen bis in das Jahr 1953. Die beiden Alben sind Teil eines größeren Konvoluts an Positiven, das aus 10 Fotoalben mit ca. 1.500 Fotos und ca. 500 losen Fotos besteht. Bis auf einige wenige Ausnahmen stammen alle Fotografien von Josef Windisch und sind zwischen 1936 und 1963, seinem Todesjahr, entstanden. Vor 1936 sind keine Fotografien von ihm bekannt.1

Josef Windisch wurde 1895 in Gleisdorf in der Steiermark geboren. Nach Abschluss seines Maschinenbau-Studiums an der Technischen Hochschule in Graz und drei Jahren als Assistent an der Lehrkanzel für Maschinenbau ging er 1921 nach Geislingen an der Steige (BRD), um dort als junger Diplomingenieur im Konstruktionsbüro der Maschinenfabrik Voith zu arbeiten. 1928 wurde er in das Tochterunternehmen der Firma Voith nach St. Pölten berufen, wo er bis zu seiner Pensionierung 1961 die Konstruktionsabteilung im Reglerbau geleitet hat. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und seiner angegriffenen Gesundheit wurde Josef Windisch nicht zum Kriegsdienst eingezogen.
Die Fotografie wurde für Josef Windisch neben seinem Beruf, den er Zeit seines Lebens mit Freude und Verantwortung ausübte, zur großen Leidenschaft.2 Ihr widmete er viel Zeit und Geld.
Als ausgebildeter Techniker und von seinem Wesen her sehr gewissenhafter Mensch studierte er die Details der Fototechnik genauestens. Das belegen seine Fachbibliothek und mehrere Hefte, in denen er sich Notizen machte, die er durch Ausschnitte aus Zeitschriften ergänzte und die erhalten geblieben sind. Er hat seine Aufnahmen stets selbst entwickelt und vergrößert und war mit seiner Fotoausrüstung, sowohl was die Aufnahme als auch was die Ausarbeitung betrifft, immer auf dem neuesten Stand. Mit seinem Fotohändler, der Firma Pfleger in Linz, war er in ständigem Kontakt.
In St. Pölten bewohnte er mit seiner Familie eine Werksvilla der Firma Voith, hatte dort aber keine eigene Dunkelkammer, sondern benützte für seine Fotoarbeiten das Zimmer seiner Tochter. Hier hat er sich dann vorübergehend eingeschlossen und wollte, wenn möglich, nicht gestört werden.
Auf Spaziergängen und Reisen hatte er stets seine Fotoausrüstung dabei, Ehefrau und Tochter mussten helfen, die Utensilien zu tragen.
Neben seiner Aufnahmetätigkeit auf Negativfilm im Kleinbild- und Mittelformat hat Josef Windisch auch mit Diafilm gearbeitet, wovon eine umfangreiche Diapositivsammlung samt Projektionsausstattung zeugt.

Die aktuelle Fotografie des Monats aus dem erwähnten ersten Fotoalbum für seine Tochter entstand am 7. März 1937 in der Traisen-Au, südlich von St. Pölten. Sie zeigt die kleine Maria im Kinderwagen sitzend. Maria lacht verschmitzt in die Kamera, was den fotografierenden Vater offenbar zu seinem unter das Foto gesetzten schriftlichen Kommentar „Wie schön ist doch die Welt!“ angeregt hat.

Foto und Art und Weise der Präsentation im Album sind charakteristisch für das fotografische Werk von Josef Windisch, das, mit wenigen Ausnahmen, sehr persönlich-familiär geprägt ist.
Im Mittelpunkt seines Interesses als Fotograf steht unbestreitbar Maria, seine einzige Tochter. Er begleitet ihre Entwicklung vom Säugling zum Kleinkind und zum Volksschulkind und ihr Heranwachsen zum Teenager und zur jungen Frau konsequent und liebevoll mit seiner Kamera. Aus den zahlreichen Fotografien – Porträts, Einzel- und Gruppenaufnahmen, Aufnahmen in Aktion, Stimmungsaufnahmen u. a. – und den, oft humorvollen, handschriftlichen Kommentaren unter den Fotos auf den Albumseiten spricht sein ganzer Vaterstolz und sein Familiensinn.
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass Marias leibliche Mutter Maria (geb. Oth, 1898), mit der Josef Windisch seit 1921 verheiratet gewesen war, am 7. Mai 1936, knapp drei Wochen nach der Geburt des Kindes, verstorben ist. Maria hat erst als Halbwüchsige erfahren, dass ihre „Mutti“ nicht ihre leibliche Mutter ist. Josef Windisch und seine zweite Frau Violetta (geb. Schrotz, 1895-1990), die er ein halbes Jahr nach der Geburt von Maria geheiratet hat, hatten entschieden, dass Maria in der Annahme, Kind in einer „ganz normalen“ Familie zu sein, aufwachsen sollte. Aus keinem der Alben geht hervor, dass es soz. „zwei Mütter“ gegeben hat, im Gegenteil – die zweite Ehefrau Violetta wird, schon vor ihrer Eheschließung mit Josef Windisch, mit der kleinen Maria in mütterlichen Posen gezeigt und in den Bildunterschriften stets als „Mama“ bezeichnet.
Neben seiner Familie, Ehefrau und Tochter, und den gemeinsamen Aktivitäten, sowie dem Beisammensein mit Verwandten, Freunden und Arbeitskollegen fotografiert Josef Windisch viel und gerne in der Natur, auf Spaziergängen und ausgedehnten Wanderungen, die die Familie bis in Gebirgsregionen führt. Auf Reisen fotografiert er Architektur, Kunstdenkmäler und Kunstwerke, dann bevorzugt auf Diafilm.

Bei einem schnellen Durchsehen des Fotobestandes neigt man dazu, Josef Windisch als „Knipser“ zu betrachten. Sieht man allerdings genauer hin und lässt man das, was seine Tochter Maria über ihren Vater und den Stellenwert der Fotografie in seinem Leben zu erzählen hat, in die Beurteilung mit einfließen, ist man sich der Richtigkeit dieser Zuordnung nicht mehr so sicher.
Der Terminus „Knipser“ stammt aus den 1890er Jahren und wurde, ursprünglich abschätzig gemeint, von Amateurfotografen mit künstlerischem Anspruch für eine zweite Gruppe privat Fotografierender geprägt, von denen sich die Amateure abgrenzen wollten.
In den letzten 20 Jahren hat sich die Fotografie-Geschichtsschreibung vermehrt mit dem Phänomen der Knipser auseinandergesetzt und so wird die Knipserfotografie heute im Großen und Ganzen folgendermaßen charakterisiert: Knipser fotografieren vor allem, um sich anhand ihrer Aufnahmen später zu erinnern, an ein Ereignis, an eine Situation, an einen Menschen in ihrem Leben. Sie bewahren die Fotografien für sich und ihre Familie auf, kleben sie in Alben ein, versehen sie gegebenenfalls mit Daten, Kommentaren und Erklärungen oder sie archivieren sie in Schachteln. Ihre Aufnahmen entstehen in ihrer privaten Welt und für diese. Es gibt keinen Auftrag und kein Interesse an Öffentlichkeit, am Öffentlichmachen der Bilder. Knipser verbinden mit ihren Fotos keine inhaltlichen oder künstlerischen Anliegen, ästhetische und technische Fragen sind von untergeordneter Bedeutung. Die Gestaltung der Fotos, die Wahl von Motiv und Bildausschnitt geschehen spontan, aus der Situation heraus. Wesentlich ist, dass das, was fotografiert wird, so bedeutsam ist, dass man es für die Zukunft festhalten möchte, um später möglicherweise darauf zurückgreifen zu können.
Dem gegenüber arbeiten die ambitionierten Amateurfotografen mit einem künstlerisch und technisch hohen Anspruch. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Bildausschnitt und der Lichtführung zu und sie arbeiten ihre Fotos selbst aus. Sie organisieren sich in Clubs und Vereinen, präsentieren ihre Werke in Ausstellungen und Wettbewerben und bieten sie gegebenenfalls zum Kauf an.

Das Werk von Josef Windisch vereint in sich Elemente beider Richtungen.
Primär ist sein Fokus auf das Private gerichtet und die Mehrzahl seiner Fotografien ist in der Tat der Knipserfotografie zuzurechnen. Jedoch auch hier erweist sich der Autor als einer, der mit einem „gestaltenden Blick“ an die Sache herangeht und sich u.a. für die Frage des passenden Ausschnittes interessiert und der Wert auf eine qualitätsvolle Ausarbeitung sowohl des Negativs als auch der Vergrößerung legt.
Der „ambitionierte Amateurfotograf“ in Josef Windisch wird vor allem in den Landschafts- und Naturaufnahmen und in der Architekturfotografie sichtbar. Hier geht es ihm um formale bildkompositorische Fragen, um Motivwahl, Bildausschnitt und Beleuchtung und um die Verteilung von Licht und Schatten im Bild.
Zweimal hat Josef Windisch an Fotowettbewerben teilgenommen; 1942 an einem Wettbewerb des RDAF (Reichsbund Deutscher Amateurfotografen), Fachgruppe St. Pölten – mit zwei Porträtfotos seiner Tochter und einer Landschaftsaufnahme (die Arbeiten sind erhalten) – und 1962 bei den Kulturwochen St. Pölten an zwei Dia-Wettbewerben, wo er zwei Medaillen gewonnen hat.

Zeit- und Sozialkritisches findet man bei Josef Windisch nicht. Obwohl sich die ersten 15 Jahre seiner fotografischen Tätigkeit mit der Ära NS-Zeit, Zweiter Weltkrieg und Besatzungszeit decken, bleiben diese Themen ausgespart. Der einzige Hinweis auf die Tatsache des Krieges sind einige wenige Fotos, die den Bruder seiner Frau bei Familienbesuchen in Wehrmachtsuniform zeigen.

Zentral ist bei diesem sehr privaten Fotobestand die Geschlossenheit des Materials. Es ist sozusagen „alles“ erhalten: die Fotos (Negative, Positive, Diapositive, Alben), Kameras und Zubehör, Diaprojektor, Leinwand, Fachliteratur, Wettbewerbs-Medaillen und persönliche Aufzeichnungen zur Fotografie. Dazu hat es sich glücklich gefügt, dass die Tochter von DI Josef Windisch, Frau Maria Donharl, detailliert über die Fotografie ihres Vaters Auskunft geben kann und über den Stellenwert, der seinen Aufnahmen, speziell seinen Fotoalben, als private Erinnerungsstücke in der Familie zugekommen ist.

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Neben den Positiven gibt es einen großen Bestand an Negativen und Diapositiven. Frau Maria Donharl Windisch (geb.1936), die Tochter von DI Josef Windisch, hat den Großteil der Fotografien ihres Vaters 2011 dem Steiermärkischen Landesarchiv in Graz überantwortet. Ein kleiner Teil der Abzüge sowie die Negativ- und Diapositivsammlungen befindet sich noch bei ihr in Verwahrung. Darüber hinaus hat Frau Donharl einen umfangreichen Bestand an schriftlichen Unterlagen (Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente u.a.) und weitere Fotografien zur Geschichte vorhergegangener Generationen ihrer Familie bereits übergeben. Was zur Familiengeschichte bis jetzt noch nicht im Archiv ist, plant Frau Donharl, zu einem späteren Zeitpunkt zu übergeben.

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Die Informationen zur Familiengeschichte und zur fotografischen Arbeit von Josef Windisch stammen von Frau Maria Donharl, Graz.

DIE FOTOGRAFIE DES MONATS | Nr. 18
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