Kurt Woisetschläger (1925–2012), Graz
Stiftskirche Seckau, Innenansicht, 14. Juni 1967
Gelatine-Entwicklungspapier, 10,4 x 14,8 cm; aus einer Serie von Aufnahmen der Abtei Seckau,
12.–15.6.1967; Steiermärkisches Landesarchiv, Graz, StLA-Woisetschläger, Kurt, Archiv, Inv.Nr. 834/2

Im März 2006 hat das Steiermärkische Landesarchiv das Fotoarchiv des Grazer Kunsthistorikers
Hon.-Prof. Dr. Kurt Woisetschläger (1925–2012) erworben. Der Bestand, der im Landesarchiv als „Archiv Woisetschläger“ geführt wird, umfasst 1.713 Schwarz-Weiß-Negativ-Filme im Format 6 x 9 cm (fallweise 6 x 6 cm), 49 Schwarz-Weiß-Negativ-Filme im Format 24 x 36 mm und etwa 16.000 Abzüge von diesen Negativen im Format 10,4 x 14,8 cm.
Bildautor sämtlicher Aufnahmen und Hersteller aller Abzüge ist Kurt Woisetschläger selbst.
Die Vergrößerungen, die auf Fotopapier in Postkartenformat ausgearbeitet sind, liegen in mehrfacher Ausfertigung vor und sind in vier Karteien nach den Kategorien Topographie, Künstler, Ikonographie und Realien geordnet. Sie sind auf der Vorderseite auf dem Bildrand per Hand mit Inventarnummer (Filmnummer / fortlaufende Nummer), Bildtitel und Datierung beschriftet. Die Negative sind, in chronologischer Reihenfolge, in den Originalhüllen abgelegt, die eine fortlaufende Nummerierung und einen Namensstempel des Fotografen tragen. Die Negative selbst sind ebenfalls mit dieser (Film)nummer sowie mit einer fortlaufenden Nummer innerhalb des jeweiligen Filmstreifens versehen.
Das gesamte Archiv ist inhaltlich sehr gut erschlossen. Zum Rollfilmbestand gibt es ein numerisch angelegtes Inventar in Form von 22 Registerbüchern im Format 20 x 15 cm. Die Bücher, von Kurt Woisetschläger selbst gebunden und von ihm handschriftlich geführt, enthalten neben der Negativnummer und dem Aufnahmedatum Angaben zum Aufnahmeort und zum Aufnahmegegenstand, fallweise Maßangaben zum Objekt, diverse zusätzliche Anmerkungen wie z.B. Hinweise darauf, wann und wo das Foto publiziert worden ist, manchmal auch Handskizzen. Der Kleinbildbestand ist in einem eigenen Heft erfasst. Zusätzlich gibt es für die gesamte Sammlung ein alphabetisch angelegtes topografisches Registerbuch mit Angabe der jeweiligen Negativnummer.

Das Archiv Woisetschläger, aus dem die aktuelle Fotografie des Monats stammt, beinhaltet Aufnahmen von Kunstdenkmälern in Graz und in der gesamten Steiermark (Architektur, Malerei, Plastik und Kunstgewerbe). Es ist zwischen 1958 und 1998 entstanden und diente Prof. Woisetschläger als „Arbeitsarchiv“ für seine kunsthistorische Arbeit, zum einen in seiner Funktion als Mitarbeiter und später langjähriger Leiter der Alten Galerie des Landesmuseums Joanneum in Graz (heute: Universalmuseum Joanneum) sowie als Lektor bzw. Honorarprofessor am Kunsthistorischen Institut der Universität Graz und zum anderen für seine umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten. Darüber hinaus stand es Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Wissenschaft sowie anderen Interessierten zur Einsichtnahme und zum Gebrauch zur Verfügung.
Bis zur Pensionierung von Kurt Woisetschläger als Leiter der Alten Galerie im Jahr 1987 war der Standort des gesamten Archivs, das in drei eigens angefertigten Ladenkästen aus Eichenholz (jeweils 161 x 102 x 55 cm) untergebracht war, die Alte Galerie. Danach wurde der „private“ Teil des Archivs – jener Bestand, der sich nun im Landesarchiv befindet – in die Wohnung Woisetschläger transferiert. In der Alten Galerie verblieb ein Schrank mit „dienstlichen“ Aufnahmen, der auch Fotografien anderer Bildautoren enthält. Dazu muss erklärend bemerkt werden, dass Kurt Woisetschläger über all die Jahre die Herstellung der Aufnahmen für dieses Archiv in ihrer Gesamtheit aus privaten Mitteln finanziert hat, von der Anschaffung der Kameras und Geräte über die Aufnahme bis zum fertigen Foto und dessen Unterbringung.
2006 entschloss sich Prof. Woisetschläger, sein Fotoarchiv dem Steiermärkischen Landesarchiv zu überantworten, weil er der Meinung war, dass hier der passende Ort für die Aufbewahrung seiner umfangreichen Dokumentation steirischer Kunstobjekte sei.

Elfriede Mejchar, Wien
Kurt Woisetschläger mit seiner
Olympus RC 35, um 1975
aus einer Fotoserie, Elfriede Mejchar,
Kurt Woisetschläger und seine Tochter
Dorothea fotografieren einander
gegenseitig, Privatbesitz

Kurt Woisetschläger wurde am 20. November 1925 in Graz geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Rechberg in der Nähe von Graz, wo seine Eltern als Volksschullehrer tätig waren. 1938 zog die Familie nach Graz und hier besuchte Woisetschläger das Gymnasium. 1943 wurde er, siebzehnjährig, zur Wehrmacht eingezogen und geriet für drei Jahre in britische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr absolvierte er auf Wunsch seiner Eltern eine Ausbildung zum Volksschullehrer und studierte gleichzeitig ab 1947 an der Universität Graz bei Wladimir Sas-Zaloziecky Kunstgeschichte und als zweites Fach Klassische Archäologie. 1953 schloss er sein Studium ab und nahm eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesdenkmalamt in Linz an. 1957 kehrte er nach Graz zurück und trat in den Museumsdienst am Landesmuseum Joanneum ein, zunächst als wissenschaftlicher Assistent in der Alten Galerie, der er dann von 1963 bis 1987 als Leiter vorstand. 1960 heiratete er die Kunsthistorikerin Inge Mayer, die er seit seiner Studienzeit kannte. Die beiden bekamen 1962 einen Sohn, Jakob, und 1963 eine Tochter, Dorothea. Dr. Inge Woisetschläger-Mayer (1928–2005) war ebenfalls lange Jahre im Landesmuseum Joanneum tätig, als wissenschaftliche Kustodin und danach, bis zu ihrer Pensionierung, als Leiterin der Abteilung für Kunstgewerbe.

Seit 1979 lehrte Kurt Woisetschläger als Honorarprofessor an der Universität Graz im Fach Mittlere und Neuere Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Museumskunde. Einen großen Teil seiner Lehrveranstaltungen hielt er vor Originalen in der Alten Galerie ab. Eine seiner ersten Vorlesungen war dem Thema „Fotografie und Kunstgeschichte“ gewidmet.

Hon.-Prof. Dr. Kurt Woisetschläger starb am 13. August 2012 in Graz.
Mit der Fotografie kam Kurt Woisetschläger schon als Gymnasiast in Berührung. Ein Bekannter seiner Eltern, der Grazer Bundesbahnbedienstete und Amateurfotograf Eduard Mlinek (1883–1962) war es, der das Interesse an der Fotografie in ihm geweckt und ihn in die Geheimnisse der fotografischen Praxis eingeführt hat. Kurt Woisetschläger war offensichtlich ein interessierter, talentierter und gelehriger Schüler. Die Professionalität, Präzision und Begeisterung, mit der er die Fotografie zeit seines Lebens betrieben hat, waren sicherlich in seinem Wesen begründet, dürften aber auch auf diese frühe Erfahrung zurückgehen. Aus dieser Zeit, Ende der 1930er Jahre, hat sich in Familienbesitz Woisetschläger eine Serie von Aufnahmen von Eduard Mlinek erhalten, bei deren Herstellung Kurt Woisetschläger dabei war: eine fotohistorische Rarität, nämlich Stereo-Diapositive in Farbe im Format 6 x 13 cm, Blumenstücke, Naturaufnahmen, Stilleben u.a. Kurt Woisetschläger, der von der Technik der Stereofotografie fasziniert war, hat später selbst Stereofotografien hergestellt, wie z.B. Ende der 1970er Jahre eine Dia-Serie von Raumaufnahmen der Sammlungsaufstellung in der Alten Galerie, die heute noch in Familienbesitz existiert.

Kurt Woisetschlägers Einstieg in die Fotografie „in großem Stil“ fällt mit seinem Eintritt ins Berufsleben und dem Beginn seiner Publikationstätigkeit in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zusammen. Davor hat er schon als Student fotografiert, wovon zwei von ihm selbst gestaltete Fotobücher von einer Italienreise 1952 (Padua, aber vor allem Venedig, einschließlich des Besuchs der Biennale) zeugen. Vergleicht man diese frühen Aufnahmen und andere private Fotografien und Fotobücher in Familienbesitz mit den kunsttopografischen bzw. kunsthistorischen Dokumentationsaufnahmen, die Inhalt des Archivs Woisetschläger im Landesarchiv sind und die man von Woisetschläger kennt, so entdeckt man eine andere Seite des „Fotografen Kurt Woisetschläger“, eine, von der man bisher nur innerhalb der Familie wusste. Diese Arbeiten, seien es Impressionen vom Familienleben, Porträts, Landschaftsaufnahmen sowie Reise-, Städte- und Architekturbilder sind, im Gegensatz zum „Abbild“ in der Dokumentationsarbeit, „Bilder“ des individuellen Sehens und Erlebens. In ihnen wird das Flair der 1950er und 1960er Jahre spürbar und formal finden sich Stilelemente, welche die bildhafte Amateurfotografie der Zeit kennzeichnen: nicht alltägliche Sujets, ungewöhnliche Perspektiven und Bildausschnitte, Licht-Schatten- bzw. Hell-Dunkel-Kontraste, grafische Effekte, Klarheit der Bildsprache etc. Die Fotobücher, alle in Schwarz-Weiß ausgearbeitet und von Kurt Woisetschläger selbst gebunden und handschriftlich betextet, orientieren sich in ihrer äußeren Form an Foto-Publikationen der Zeit.
Kurt Woisetschläger hat sich für die Fotografie interessiert, für technische Fragen ebenso wie für ihre Geschichte und für zeitgenössische Positionen. Er hat Fotoausstellungen besucht, hat sich mit befreundeten Fotografinnen und Fotografen wie Elfriede Mejchar, Erich Kees und Elisabeth Kees-Kraus ausgetauscht, in seiner großen Bibliothek gab es Literatur zur Fotografie und er war von 1966 bis zu seinem Tod Mitglied der Photographischen Gesellschaft PhG (Wien).
Auf der anderen Seite sagte er von sich selbst, er betreibe „Anlassfotografie“ (zit.), sowohl im privaten Bereich als auch in seiner Dokumentationstätigkeit und er hat sich nie als künstlerisch arbeitender Fotograf gefühlt und gesehen. Dass Walter Koschatzky, ein Studienkollege und Freund, ihn in sein Buch „Die Kunst der Photographie“ (1984) aufgenommen hat, hat er als Überschätzung, vielleicht sogar als Fehleinschätzung, seiner Arbeit empfunden. Koschatzky bildet in seinem Werk eine Innenansicht der Stiftskirche Seckau von Kurt Woisetschläger ab und er stellt anhand dieses Beispiels über ein Zitat eine Verbindung zu André Malraux her. Malraux hatte sich in seinem „Musée Imaginaire“ (1947, 1953-1955) mit der Rolle der Fotografie als Dokumentations- und Reproduktionsmedium beschäftigt und die Möglichkeiten analysiert und aufgezeigt, welche sich durch sie eröffnen, allgemeinen Zugang zu Kunstwerken der gesamten Welt zu gewähren. Vielleicht kann man das Archiv Woisetschläger durchaus auch als ein solches imaginäres Museum Grazer bzw. Steirischer Kunst verstehen.

Jedenfalls hat sich Kurt Woisetschlägers Fotosammlung über beinahe fünfzig Jahre zu einem beeindruckenden Bildkatalog kunsthistorischer Objekte in der Steiermark entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf der Kunst bis etwa 1800 liegt. Dies ist auch jene Zeitspanne, die Inhalt seiner wissenschaftlichen Arbeit war, sowohl in der Museumsarbeit als auch bei seiner Vorlesungstätigkeit.
Er veröffentlichte seine Fotografien in zahlreichen Publikationen, in eigenen sowie in Arbeiten anderer Autoren. Als frühes Beispiel kann das Werk „Alte steirische Herrlichkeiten. 800 Jahre Kunst in der Steiermark“ (1968 und 1973) genannt werden, welches er gemeinsam mit Peter Krenn verfasst hat. Die Abbildungen stammen, mit wenigen Ausnahmen, von Woisetschläger selbst und sind großteils für das Buch entstanden. Bei den Fotografien, hochprofessionell in Aufnahme, Ausarbeitung und Wiedergabe im Buch, meint man, den Blick des zweifachen Experten spüren zu können, den des Kunsthistorikers und den des Fotografen. Woisetschläger hat, wenn er nicht selbst Autor der Publikation war, „als Fotograf“ viel und gerne mit Fachkolleginnen und Fachkollegen aus der Kunstgeschichte zusammengearbeitet; so beispielsweise mit seiner Frau Inge Woisetschläger-Mayer oder mit Pater Benno Roth bei kunsttopografischen Veröffentlichungen. Er hat seine Fotografien aber auch für lokale Kirchenführer und kleinere wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung gestellt.

Für die Publikation „Seckau. Der Dom im Gebirge“ von Benno Roth ist 1967 auch die Aufnahmeserie entstanden, aus der die aktuelle Fotografie des Monats stammt.
Das ausgewählte Foto ist ein Beispiel dafür, wie ausgezeichnet Kurt Woisetschläger gearbeitet hat. Sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Ausarbeitung des Fotos lotet er alle Möglichkeiten aus; Bildaufbau, Lichtführung und Nachbearbeitung des Negativs ergeben eine Architekturaufnahme, die auf sämtliche Details optimal eingeht. Die Bildkomposition lässt den Betrachter den beeindruckenden Kirchenraum erleben, durch den abgedunkelt wiedergegeben Vordergrund und die dunkleren Seitenpartien wird sein Blick quasi „magisch“ auf die romanische Kreuzigungsgruppe über dem Altar geführt.
Kurt Woisetschläger war der Meinung, dass die Schwarz-Weiß-Fotografie die beste Form für die Dokumentation von Kunstwerken wäre, keineswegs nur aus konservatorischen Gründen. Demzufolge besteht sein Archiv beinahe ausschließlich aus Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Coloraufnahmen gibt es nur wenige. Es war ihm immer wichtig, bei seiner fotografischen Arbeit technisch bestmöglich ausgestattet zu sein, von der Aufnahme über die Film-Entwicklung bis zur Ausarbeitung des Fotos. In der Dunkelkammer schöpft er alle Möglichkeiten der Manipulation zur Gestaltung des fotografischen Abzugs aus.
Für sein technisches Equipment hat er einen beträchtlichen Teil seiner finanziellen Ressourcen eingesetzt. Er besaß im Laufe der Jahre verschiedene Fach-, Kleinbild- und Mittelformatkameras, einschließlich des Zubehörs.
Sein technisches und gestalterisches Wissen und seine Begeisterung für die Fotografie hat Kurt Woisetschläger an seine beiden Kinder weitergegeben. Beide waren von klein auf oft bei ihrem Vater in der Dunkelkammer. Sein Sohn Jakob, heute Universitätsprofessor für Optische Messtechnik an der Technischen Universität Graz, hat später mit ihm gemeinsam Astrofotografie betrieben. Die letzte Fachkamera, die Kurt Woisetschläger angeschafft hatte, eine Arca Swiss 6x9 cm, dient seinem Sohn heute für Aufnahmen im laseroptischen Labor. Auch Kurt Woisetschlägers Tochter Dorothea, verehel. Neukirchner, Physiotherapeutin in Graz, ist eine begeisterte Fotografin und arbeitet u.a. mit Kameras, die aus dem Besitz ihres Vaters stammen.

Um das Archiv Woisetschläger den Benützerinnen und Benützern des Steiermärkischen Landesarchivs optimal zur Verfügung stellen zu können, ohne auf die Originale zugreifen zu müssen, wurde der gesamte Fotobestand in einem eigenen Projekt 2008 bis 2011 digitalisiert.

DIE FOTOGRAFIE DES MONATS | Nr. 19
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